Lux Aeterna (German Edition)

besaß, jedoch nicht dem Fluch des Blutes unterlag. Orsini blieb über Jahre bei seiner Gefährtin, konnte jedoch als Künstler nichts mit einem aufsässigen Teenager anfangen und verließ die beiden, um seine Karriere als Dirigent weiter zu verfolgen.
    Nachdem ihre Mutter ihre wahre Existenz vor der Tochter nicht länger verbergen konnte und Adriana die Wahrheit über sich, Orsini und ihre Herkunft erfuhr, war das junge Mädchen wütend und verwirrt davongelaufen. Das war Anfang der sechziger Jahre gewesen. Adriana hatte daraufhin versucht, ihren Ziehvater Orsini zu finden und zu töten. Ersteres gelang ihr in der Künstlergarderobe einer Oper. Aber der Dirigent hatte dem damaligen Teenager mit einem Lachen den einfachen Holzpflock aus der Hand geschlagen und sie stattdessen gebissen. Der Versuch, sie zu anschließend zu wandeln, war aufgrund ihrer Abstammung misslungen. Der Biss löschte stattdessen das gesamte Gefühlsleben des jungen Mädchens aus. Dabei zeigte die hübsche Besucherin ihm die Wunden an ihrem Hals, die ein dünner dunkelroter Rollkragenpullover verdeckte. Leander hob verwundert die Augenbrauen. Die Wunden sahen frisch aus, wie am ersten Tag. Wieder schien die junge Frau seine Gedanken zu lesen.
    „Die Zeit läuft für mich sehr, sehr langsam“, erklärte sie ihm. „Aber sie läuft. Mein Leben geht wie in Zeitlupe an mir vorbei. Orsini hat mich nach der misslungenen Wandlung auf einem abgelegenen Dorffriedhof lebendig begraben. Ich war wohl so etwas wie scheintot. Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn jede Sekunde so lang wie eine Stunde wird und man selbst dabei gar nichts empfindet? Wenn man sich selbst beim Sterben zusieht?“
    Leander nickte. Oh ja, das konnte er. Er war ein Kind der Ewigkeit. Seine überirdische Abstammung kannte keine Zeit. Er war so alt wie die Vampirkultur selbst.
    Er war mit ihr geboren worden, damals, auf der Insel Atlantis, als Gott die Kinder der Nacht verfluchte. Daher konnte er ahnen, was dieses Geschöpf durchgemacht hatte.
    Innerlich war dieses Wesen tot, und die Zeitschleife, in der es sich befand, war nichts anderes als ein qualvolles Sterben.
    „Schließlich bin ich dann entkommen, als man den alten Friedhof wegen einer Baumaßnahme verlegen wollte und die Gräber aufriss. Das war vor vier Monaten“, fuhr sie nun fort. „Dann habe ich versucht, meine Mutter wiederzufinden. Ihre Spur verlor sich in Hamburg. Ich habe in den Vampirclubs dort nach ihr gefragt, und Spy hat mir von Jasons Suche erzählt.“
    Dabei holte sie einen Werbeflyer des Clubs aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch.
    „Von einem anderen Vampir erhielt ich dann diese Adresse hier. Ich hatte gehofft, dass Jason mir vielleicht helfen könnte. Ich muss diesen Zustand beenden.“ Einige Zeit blieb es still im Raum. Nur die große Standuhr in der Ecke tickte eintönig vor sich hin.
     
    „Orsini ist tot – und Ihre Mutter auch“, begann Leander nunmehr seine Erzählung. Er hatte gegenüber Adriana Platz genommen. Von Laetitia selbst wusste er nur, was Jason ihm erzählt hatte. Er hatte sie nie persönlich kennen gelernt. Es war nun an ihm, seinem Gast von Jason und dessen Schicksal zu berichten. Auch seine eigene Herkunft verschwieg er nicht. Adriana hörte schweigend zu. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Mitleidig betrachtete der Halbengel die junge Frau, die einem Zombie glich.
    „Dann gibt es also keine Hoffnung für mich“, stellte die Italienerin nun fest.
    Leander musste zugeben, dass selbst ihm in diesem Fall die Hände gebunden waren. Eine Zeitschleife zu lösen, lag nicht in seiner Macht. Selbst wenn ein Vampirfürst diese lösen könnte, war nicht klar, ob Adriana nicht in Sekundenschnelle ihr wahres Alter erreichen und vielleicht sterben würde. Schließlich war sie Neunzehnhundertsechsundvierzig geboren worden.
    Wenn dieser Orsini nicht schon tot gewesen wäre, hätte er ihn gerne für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen!
    „Selbst wenn es mir gelingt, Jason zurückzuholen, ich kann nicht dafür garantieren, dass er Ihnen überhaupt helfen kann“, gab Leander zu.
    „Sie wollen einen Toten erwecken?“, fragte Adriana.
    „Nur die alten Meister und Fürsten können aus ihrer Asche auferstehen, das ist eine ihrer Gaben. Hybriden oder Grenzgänger sind in diesem Zustand vollständig vernichtet“, erklärte ihr der Halbengel. „Allerdings bedarf es zu einer Wiedererweckung gewisser Voraussetzungen. Normalerweise ist für dieses Ritual eine bestimmte