Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Nonne hielt inne und blickte ihren Begleiter an. In Ruhe
abwarten? Doch schließlich seufzte sie und ließ sich an seiner Seite
nieder.
»Woher, denkst du, hat Ciban gewusst, dass wir im Turm sind?«
»Dominico?«, antwortete Ben schlicht.
»Du denkst, der alte Bibliothekar hat ihn informiert?«
»Denkbar wäre es. Oder?«
»Was ist mit deiner Vollmacht als Mitarbeiter des Archivs?«
Ben zuckte mit den Achseln. Nach dem gerade erlebten Vorfall schien
ihn nichts mehr aus der Fassung zu bringen. Nicht einmal mehr Judas’
Vermächtnis. »Papier ist geduldig, weißt du.«
»Aber deine Vollmacht ist vom Heiligen Vater autorisiert.«
Er blickte sie an. Die dunklen Ringe unter seinen Augen verrieten, wie
müde er war. »Das interessiert Seine Eminenz herzlich wenig.
Letztendlich hat er mir diese Vollmacht besorgt. Wie sagt man noch so
schön: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.«
Catherine dachte einen Augenblick lang über Bens Worte nach, auch in
Bezug auf ihre eigenen, völlig konfusen Gefühle, wenn es um Ciban
ging. Sie ließ den Blick durch den Gang schweifen, an den Türen und
Gemälden vorbei bis hin zur geschlossenen Aufzugstür. Dann stellte sie
die ihr so wichtige Frage: »Vertraust du ihm, Ben?«
Der Archivar lächelte müde. »Ich fürchte, er ist ein Idealist.«
»Das beantwortet nicht meine Frage.«
Ben zuckte hilflos mit den Achseln. »Was ist mit dir? Vertraust du
ihm?«
Catherine lehnte sich zurück und dachte zwei, drei Sekunden darüber
nach. Grundgütiger, sie war sich ganz und gar nicht sicher. Nur eines
war ihr in den letzten Tagen klar geworden, Leo vertraute Ciban
bedingungslos, während es für sie selbst nur zwei Zustände in der
Gegenwart des Präfekten gab: Entweder ihr war hundeelend zumute,
oder da waren diese verfluchten und völlig unerklärlichen
Schmetterlinge in ihrem Bauch.
Gerade als sie zu einer Antwort anheben wollte, ging die Tür auf, und
Ciban trat auf den Flur. Catherine schaute in sein bleiches Gesicht, in
durchdringende, hellwache Augen. Die Ereignisse der letzten Tage
schienen den Präfekten kaum Kraft gekostet zu haben – oder besaß er die
Fähigkeit, darüber hinwegzutäuschen? Nahm er womöglich
aufputschende Drogen? Die klaren Augen sagten nein. »Sie können jetzt
zu ihm«, sagte der Kardinal und gab Catherine ein Zeichen.
Als Ben sich ebenfalls erheben wollte, um ihr zu folgen, hielt Ciban ihn zurück. »Ein Vieraugengespräch zwischen ihm und ihr.«
Ben nickte verstehend und wollte sich schon wieder auf der Bank
niederlassen, als der Kardinal hinzufügte: »Wir beide haben ein anderes
Gespräch zu führen, Ben. Bitte folgen Sie mir.«
67.
Der Papst stand am hohen Fenster, als Catherine den schlichten, mit
antiken Möbeln eingerichteten Wohnraum betrat. Verborgen hinter dem
Vorhang schaute Leo auf den Petersplatz und die dahinter liegende,
ruhelose Stadt. Noch immer hielt er Benellis Brief in der Hand. In
Gedanken schien er meilenweit von Rom und diesem Zimmer entfernt.
»Heiligkeit«, sagte Catherine, um ihm zu signalisieren, dass sie den
Wohnraum betreten hatte.
Der Papst drehte sich zu ihr um, kam auf sie zu und verzichtete wie
schon in den letzten Tagen auf jede Förmlichkeit. »Kardinal Benelli hat
Rom geliebt. Er ist oft durch die Straßen spaziert und hat sich der
Obdachlosen angenommen. Ich habe eigentlich nie verstanden,
weswegen er in den letzten Jahren in diese Villa gezogen ist. Nehmen
Sie doch bitte Platz, Catherine.«
»Danke.« Sie ließ sich auf einem der hohen, bequemen Sessel nieder,
holte Pius’ Buch hervor und legte es auf den Tisch. »Pater Darius ist von Chicago nach Rom gezogen und von Rom weiter in dieses einsam
gelegene Kloster in Deutschland. Vielleicht gibt es da eine Parallele,
Heiligkeit.«
»Vielleicht.« Der Papst blieb neben dem großen Barock-Globus stehen
und ließ die Weltkugel vorsichtig kreisen. »In jedem Fall haben Sie
Darius und Benelli über Ihre Gabe hinaus sehr beeindruckt, Catherine.
Sonst gäbe es nicht diesen Brief.«
»Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht einmal einen Bruchteil davon. Ich
weiß nur, es gibt eine Wahrheit hinter der Wahrheit. Doch ich bin mir
nicht sicher, ob ich sie auch wirklich verstehe.«
Leo lächelte und ließ den Globus ausrollen. »Damit wären wir schon
zwei. Ich lebe seit dem letzten Konklave mit dieser Wahrheit, und sie ist mir nach wie vor ein Rätsel. Vermutlich wissen Sie inzwischen mehr als
ich.«
»Das bezweifle ich,
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