Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
einmal begriff Catherine, dass er mehr über das Geheimnis wusste, als sie bislang geahnt hatte.
»Verrat und Mord, in Verbindung mit diesem Buch, haben der Kirche in
der Geschichte großen Schaden zugefügt«, erklärte er. »Ich würde es
niemals zulassen, dass so etwas während meiner Amtszeit geschieht.« Er
hielt kurz inne, ohne Catherine aus den Augen zu lassen. »Warum dieses
Versteckspiel, Schwester? Warum haben Sie mich nicht einfach
gefragt?«
»Hätten Sie mich denn den ›Turm der Winde‹ betreten lassen? Hätten
Sie mich in das Geheimnis eingeweiht? Es tut mir leid, Eminenz, aber
dieses Risiko durfte ich nicht eingehen.«
Der Präfekt starrte sie einen Moment lang schweigend an. Dann nickte
er. »Sie haben Recht. Verzeihen Sie mir. Sollten wir je wieder in eine
solche Lage geraten, dann erinnern Sie mich bitte an diesen Tag. Das
Gleiche gilt auch für Sie, Ben.« Er bedeutete beiden, ihm zu folgen.
»Kommen Sie. Ich kenne eine kleine Abkürzung.«
»Eine Abkürzung?«, sagte Ben ungläubig. »So etwas gibt es hier nicht.«
Die Andeutung eines Lächelns umspielte Cibans Lippen, während er das
kleine Antennengerät ausschaltete und einsteckte. »Im Vatikan gibt es
immer irgendeine Abkürzung.«
Nachdem der Kardinal sich davon überzeugt hatte, dass niemand mehr in
ihrer Nähe war, führte er Catherine und Ben durch einen schmalen Gang
zu einem der Wandregale, zog einen alten, schweren Folianten vor und
berührte einen Sensor in der Wand, den man nur sah, wenn man wusste,
wo er sich befand. Das Regal schwang lautlos zurück, und eine türgroße
Öffnung tat sich auf.
»Ein – Aufzug?«, entfuhr es Catherine. Sie trat vor und inspizierte die
Transportkabine, die maximal drei Menschen Platz bot.
»Und kein gewöhnlicher«, erklärte Ciban. Er bedeutete Catherine und
Ben, den Aufzug zu betreten. Die Tür schloss sich, und die Kabine setzte sich in Bewegung, zunächst senkrecht nach unten, dann waagerecht. Es
gab keine erkennbaren Anzeigen, nur einen roten Notschalter. Während
Catherine in der Enge einem stenophobischen Angstzustand nahe war,
schienen die beiden Männer damit nicht das geringste Problem zu haben.
»Papst Innozenz hat dieses Aufzugssystem einrichten lassen«, erklärte
der hochgewachsene Kardinal. »Es gibt eine Verbindung zur Engelsburg,
zur Nervi-Halle und einen Geheimgang zu den Grotten von St. Peter.
Natürlich bestehen noch einige andere, etwa zu den Geheimarchiven,
wie Sie gerade gesehen haben. Wie Sie sich vielleicht noch erinnern,
brauchten die alten Gemäuer dringend neue Lüftungs-, Kühl- und andere
Anlagen, die installiert werden mussten. Innozenz hat diese
Notwendigkeit und das damit verbundene Wirrwarr klug genutzt.«
Catherine versuchte Ruhe zu bewahren. »Das kann man wohl sagen.
Dauert die Fahrt noch lange?« In diesem Moment machte die Kabine
einen sanften Ruck nach rechts, dann wieder nach links und bewegte sich
schließlich erneut nach oben. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Gehirn wie in einem zu engen Goldfischglas hin und her schwappte. Vermutlich hatten
sie die Archive inzwischen verlassen und befanden sich bereits unter
dem Apostolischen Palast.
Ciban bedachte sie mit einem besorgten Blick. »Halten Sie durch,
Schwester, wir haben es gleich geschafft.«
Dann hielt die Transportkapsel endlich an, die Tür öffnete sich, und sie befanden sich zu Catherines Verblüffung in dem wohlbekannten Flur,
der zu den Privatgemächern des Papstes gehörte.
»Den Brief, bitte«, bat der Präfekt. Catherine holte das Schreiben hervor und reichte ihn weiter. »Warten Sie bitte einen Augenblick hier. Ich bin gleich zurück.« Er verschwand mit eiligen Schritten hinter der Tür zu
Papst Leos privatem Wohnzimmer.
Kaum war Ciban verschwunden, fragte Catherine leise: »Was, denkst du,
hätte er mit uns gemacht, wenn wir tatsächlich nichts weiter als
hundsgemeine Diebe gewesen wären?«
Ben, der noch immer wie hypnotisiert auf die Aufzugstür gestarrt hatte,
drehte sich zu ihr um. »Das werden wir hoffentlich niemals erfahren.«
66.
Die Zeit schien stillzustehen, und so lief Catherine vor der Tür zu dem
privaten Wohnraum des Papstes wie ein Raubtier im Käfig auf und ab.
»Was machen die nur so lange da drin?«
Ben, der sich auf der kleinen Bank im Flur niedergelassen hatte und
ausruhte, sagte: »Wir sind noch keine fünf Minuten hier, Catherine.
Warum setzt du dich nicht einfach neben mich und wartest in Ruhe ab.«
Die junge
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