Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
überkreuz hielten, dass es kein Durchkommen mehr gab.
Hinter den Wachmännern zeichnete sich ein größerer Zwischenraum ab,
ein Lesesaal. Noch immer befanden sie sich im inneren Bereich der
Archive.
Einer der beiden Gardisten senkte die Hellebarde und forderte sie auf, in den Saal zu gehen. Catherine und Ben betraten den dunklen Raum, der
nur spärlich durch eine einzige Lichtinsel erhellt wurde. Die Insel befand sich genau über dem mittleren Stehpult, über das eine Gestalt in eines
der alten Dokumente vertieft schien.
Catherine hielt den Atem an.
Kardinal Ciban hob den Kopf und wandte sich ihnen mit kühlem Blick
zu. »Sie haben Ihre Studien bereits beendet, wie ich sehe.«
64.
Monsignore Massini nahm das Telefon in seinen Privaträumen ab und
erstarrte. Die Rufnummer war unterdrückt, aber er erkannte die Stimme
des Erpressers sofort. Wie er den Tag bereute, an dem er Aurelio in
dessen Wohnung gefolgt war, in der Hoffnung auf ein wenig Liebe.
Noch immer war der Erpresser im Besitz der DVD.
»Wir haben einen neuen Auftrag für Sie, Pater«, sagte die Stimme in
einem schwer einzuschätzenden Tonfall, der jedoch eines ganz gewiss
nicht duldete: Widerspruch. »Was wissen Sie über die neue Nonne im
päpstlichen Haushalt?«
Massini spürte, wie ihm das Blut in einer regelrechten Flut ins Gesicht
schoss. »Warum ist eine einfache Ordensschwester für Sie so
interessant?«, wagte er sich vor.
»Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein. Also, was wissen Sie über die
Neue?«
»Nicht viel.« Massini rang um Fassung und wünschte sich, Papst Leo
hätte ihn niemals eingeweiht. Dann spulte er langsam die Scheinidentität hinunter, die Ciban in Absprache mit Schwester Catherine entworfen
hatte. »Schwester Bernadette ist erst seit ein paar Wochen in Rom. Sie
stammt aus den USA und arbeitet als Küchenhilfe im päpstlichen
Haushalt. Das ist alles.«
»Seltsam«, sagte der Erpresser. »Wir haben die Angaben überprüft. Sie
scheinen korrekt zu sein, und dennoch sagt mir das Zittern in Ihrer
Stimme, dass hier etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zugeht.«
Massini stand unter Schock. Was sollte er als Nächstes sagen? Er atmete
tief durch, ohne das Gefühl zu haben, dass wirklich Luft in seine Lungen strömte. »Was wollen Sie, dass ich tue? Eine Küchenhelferin
ausspionieren?«
»Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund, Pater. Ich erwarte bis
morgen Mittag eine Antwort. Dass Ihr kleines Geheimnis unter uns
bleibt, hat nun einmal seinen Preis.« Der Erpresser unterbrach die
Verbindung.
Massinis Knie wurden weich. Er schaffte es gerade noch aufs Bett. Ganz
gleich, wie er die Sache auch drehte und wendete, es gab kein Entrinnen.
Sein Blick fiel auf das Kreuz an der Wand gegenüber. Einen Augenblick
lang dachte er daran, in seiner Verzweiflung zu beten. Doch er wagte es
nicht.
65.
Catherine starrte noch immer völlig verblüfft auf den Präfekten der
Glaubenskongregation. Die Atmosphäre des Archivs alleine vermittelte
schon das düstere Gewicht vergangener Jahrhunderte, doch die junge
Frau hatte das deutliche Gefühl, dass die Gegenwart Kardinal Cibans
dieses Gewicht noch einmal um eine Dimension erhöhte. Der Mann am
Pult war nicht der Ciban, den sie in den letzten Tagen kennengelernt
hatte. Dieser Mann erinnerte sie mit einem Schlag wieder an die
quälenden inquisitorischen Sitzungen, die sie in den letzten Wochen
hatte erdulden müssen, ohne dass es eine Fluchtmöglichkeit gegeben
hatte.
Auch jetzt gab es kein Zurück.
Der Präfekt schickte die beiden Schweizergardisten fort. Dann holte er
ein kleines, kugelschreiberähnliches Gerät aus seiner Soutane hervor,
entfaltete es zu einer Art mehrarmiger Antenne und deponierte es auf
dem Pult. Catherine hatte so etwas noch nie zuvor gesehen, konnte sich
aber vorstellen, wozu es diente. Kein einziges Wort, keine einzige Silbe, die zwischen Ciban, Ben und ihr fallen würde, sollte diesen Saal auf
elektronischem Wege verlassen.
»Sie haben etwas, das Ihnen nicht gehört«, erklärte der Kardinal, wandte sich an Ben und streckte die Hand aus.
Ben machte keine Anstalten, das Buch herauszugeben, stattdessen
erklärte er: »Wir sind auf dem Weg zu Seiner Heiligkeit, Eminenz.«
»Das Buch«, beharrte Ciban mit einem mahnenden Unterton. »Ich
möchte nicht, dass es in falsche Hände gerät.«
»Das wird es nicht, Eminenz«, schaltete Catherine sich ein. Sie
ignorierte den scheußlichen Druck in ihrem Magen und schaffte
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