Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
»Lassen Sie uns mal sehen: zwölf
Abgesandte für die Erlösung der Welt. Zwölf Apostel, die bis heute für
die Verfehlungen der Menschen und der Kirche geradestehen und diese
Institution am Leben erhalten. Wir Menschen haben uns nicht so
entwickelt, wie von Gott gewünscht. Nur noch sieben von dem
Zwölferbund sind am Leben. Vielleicht steckt im Handeln des Mörders
Gottes Gegenplan?«
Catherine kniff die Augen zusammen. »Wenn dem so wäre, Heiligkeit,
wie passe ich dann in diesen Plan? Als Gegenplan zu Gottes
Gegenplan?«
Leo begegnete ihrem Blick. »Als Hoffnung?«
Catherine schwieg, denn sie wusste darauf keine Antwort. Warum
musste Benelli auch in solchen Rätseln sprechen? Wozu all diese
Träume und Visionen, wenn sie ihre Aufgabe am Ende doch nicht klar
verstand?
Als sie nichts entgegnete, fuhr der Papst fort: »Eines steht jedenfalls fest: Ohne Ihre Hilfe, Catherine, hätte sich die Waagschale schon längst zu
unseren Ungunsten bewegt.«
»In meiner Vision …« Catherine stockte. »Gabriel hat gesagt, dieser
Bund zwischen Gott und den Menschen halte bis zum Beginn des
Weltgerichts.«
Der Heilige Vater blickte auf den Brief und das Buch, wobei Catherine
mehr den Eindruck hatte, dass er durch beides hindurchstarrte. »Die
Nacht ohne Morgen. Das Ende der Geschichte. Die Apokalypse.
Armageddon. Zwölf Abgesandte stehen zwischen der Endzeit und uns …
Gabriel hat Ihnen das gesagt? Oft erscheinen Engel als Offenbarer dieser Zukunftsversion«, stellte er trocken fest.
»Sie denken, der Mörder will die Apokalypse herbeiführen?«
»Ich wünschte, ich wüsste, worüber Benelli informiert war. Ich
wünschte, ich verstünde seinen Plan. Ich schätze, er wäre nie dieses
Wagnis eingegangen, wenn nicht alles auf dem Spiel stünde und …« Der
Papst hielt inne.
»Und?«, hakte Catherine nach.
Leo begegnete ihrem Blick. »Und er nicht noch irgendetwas in petto
hätte.«
»Er spielt Schach mit Gott, um die Apokalypse zu verhindern?«
»Irgendwer oder irgendetwas – nennen wir es ›die dunkle Macht‹ – will
die katholische Kirche ins Chaos stürzen, und ich versichere Ihnen,
Catherine, das würde für den Rest der Welt nicht ohne Folgen bleiben.«
»Aber wenn diese dunkle Macht, um Sie zu schwächen, Jagd auf die
Apostel macht, warum schützen die überlebenden Abgesandten Sie dann
nicht innerhalb der Mauern des Vatikans? Warum vereinen sie nicht hier
all ihre Macht? Warum hat die vatikanische Sicherheit nicht schon längst entsprechende Maßnahmen ergriffen?«
Der Heilige Vater stand auf, ging zu dem barocken Globus zurück und
ließ die Kugel erneut langsam rotieren. Er schien zu überlegen, wie viel er Catherine offenbaren durfte. Schließlich sagte er: »Weil nur ich als
Papst über die Identität der Apostel Bescheid wissen darf. Ansonsten
liefen wir Gefahr, dass die restlichen Überlebenden hier wie auf dem
Präsentierteller säßen.«
»Das ist alles ?«
»Denken Sie an Benellis Brief.« Der Papst trat vom Globus weg und
zitierte: »Lediglich die Päpste, die Großinquisitoren sowie der
Zwölferbund wissen überhaupt um das Geheimnis.« Dann sagte er:
»Was Kardinal Benelli Ihnen nicht mitgeteilt hat, Catherine: Nur ich und die Abgesandten dürfen um deren Identitäten wissen. Das ist ein Teil des Paktes. Selbst Seine Eminenz Kardinal Ciban bleiben die Namen und
Aufenthaltsorte der Zwölf verwehrt – solange diese leben.« Der Papst
musterte die junge Nonne, dann fügte er hinzu: »Bis auf Benelli und eine Apostelin sind sie in der ganzen Welt verteilt.«
Ein weiblicher Apostel befand sich in Rom?
»Ehrlich gesagt verstehe ich diesen Teil des Paktes nicht, selbst wenn
mir klar ist, dass die Abgesandten Botschafter Gottes sind, die überall in der Welt wirken sollen.«
»Denken Sie an Luzifer. Denken Sie an den Höllensturz, an die
Nephilim . Denken Sie an das Streben nach Gottgleichheit, an den Stolz und die Weigerung einiger Engel, dem Menschen Respekt zu zollen. Ein
wichtiger Aspekt des Bundes ist, dass genau das mit den Abgesandten nicht passiert. Zum einen sind die Apostel Boten in der Welt, zum
anderen würde ihre Energie und Macht zu stark, wenn sie über all die
Jahrhunderte vereint geblieben wären. Aus diesem Grund wird der
Zwölferbund auch mit jedem dritten Papst komplett ersetzt. Denken Sie
an das, was Ignaz von Döllinger über Macht zu bedenken gegeben und
was sein berühmter Schüler Lord Acton so treffend in einem
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