Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Heiligkeit. Sie sind Petrus’ rechtmäßiger
Nachfolger. Sie sind der Fels.«
Papst Leos Lächeln verstärkte sich, als er dem Globus mit seinen
barocken Symbolen beim Rotieren zusah. »Oh nein, Catherine. Ich bin lediglich die Galionsfigur. Das nächste Opferlamm.« Seine Stimme
offenbarte keinerlei Groll, keinen verletzten Stolz, schien lediglich eine unverrückbare Tatsache darzustellen. »Sie hingegen sind in Darius’ und
Benellis Fußstapfen getreten, wenn auch zugegebenermaßen nicht ganz
freiwillig. Die Jahre im Institut haben Sie bestens darauf vorbereitet.«
Catherine spürte, wie ihr alleine die Erwähnung des Instituts einen Stich versetzte. Sosehr sie dessen Schutz und die Geborgenheit als Kind,
Teenager und Studentin auch geschätzt hatte, die letzten Jahre waren ihr eher wie eine leibhaftige Hölle erschienen. Mit dem Fortgang der alten
Garde hatte sich vieles verändert, und das nicht unbedingt zum Guten,
wie sie fand. Sie hatte keine Ahnung, seit wann genau das Lux Domini
seine Finger im Spiel hatte und das Institut somit dem vatikanischen
Geheimdienst unterstand. Nur so viel war ihr vor einigen Jahren klar
geworden: Sie konnte nicht länger ein Mitglied dieses kalten,
berechnenden Fortschreitens sein. Darius hatte schließlich dafür gesorgt, dass sie das Lux unbehelligt hatte verlassen können. Doch wie es derzeit aussah, ließ sie dieser Teil ihrer Biografie wohl niemals los.
»Worauf vorbereitet, Heiligkeit?«, fragte sie. Darius hatte nie auch nur angedeutet, dass sie eines Tages hier sitzen und mit dem Papst über das
Evangelium des Judas Ischariot reden würde. Der Pater hatte ihr
allerdings auch nie etwas über seine Freundschaft und Verbindung zu
Antonio Kardinal Benelli gesagt.
Leo ließ von dem barocken Globus ab, setzte sich in den Sessel ihr
gegenüber und legte Benellis Brief neben Pius’ Buch. »Was sehen Sie,
wenn Sie mich anschauen, Catherine?«
Catherine schluckte. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Heiligkeit?«
»Meine Aura. Was sehen Sie?«
»Ich … ich habe Ihre Aura noch nie betrachtet«, stotterte sie. »Schon als Kind habe ich gelernt, die Privatsphäre eines anderen Menschen zu
respektieren.«
»Nun vergessen Sie einmal für einen Moment, was Darius Sie gelehrt
hat, Catherine. Was sehen Sie, wenn Sie meine Aura lesen?«
»Ich kann Ihre Aura nicht so einfach lesen, Heiligkeit. Da müsste ich erst meine Abschirmung gänzlich fallen lassen. Und um ehrlich zu sein, dazu
bin ich nicht bereit, solange ich für Ihre Sicherheit verantwortlich bin.«
Leo nickte etwas enttäuscht. »Verstehe. Es macht Sie verwundbar.«
»Jede Medaille hat zwei Seiten.«
»Seltsam.« Der Papst lächelte. »Das Gleiche hat Seine Eminenz Kardinal
Ciban vor wenigen Minuten zu mir gesagt. – Catherine, woher stammt
Ihre Gabe?«
»Die Wissenschaft spricht von einer genetischen Disposition, die noch
lange nicht ausreichend erforscht ist. Für die Kirche ist meine genetische Andersartigkeit jedoch nicht die Ursache für meine Gabe. Vielmehr hat
die spirituelle Gabe meine Genetik geprägt.«
»Was denken Sie?«
»Ich habe immer gewusst, es ist Letzteres.«
»In gewisser Weise beneide ich Sie darum. Ich selbst verfüge über
keinerlei mediales Talent. Bis vor zwei Jahren war ich alleine auf meinen Glauben angewiesen.«
»Ist der Glaube nicht eine viel größere Gabe?«
Der Papst kam nicht umhin zu lächeln. »So sollte es eigentlich sein.
Doch seien wir einmal ehrlich, für viele von uns modernen Menschen ist
die Genesis mit all ihren poetischen Ausschmückungen kaum mehr als
eine Metapher. Und nun …« Leo zögerte einen Moment, blickte auf den
Globus. »Seit der Einweihung glaube ich nicht mehr, sondern ich weiß .
Mein spiritueller und geistiger Horizont wurde für dieses Amt erweitert.
Erst die Kraft, die mir der Zwölferbund verleiht, macht meine Stärke aus.
Dummerweise liegt aber auch gerade darin meine Schwäche, wie der
Mörder von Darius, Sylvester, Isabella und Silvia sehr genau weiß.«
»Hat es schon in früheren Zeiten solche Mordversuche gegeben?«
»Ja, dreimal. Einer davon hat den Hexenwahn ausgelöst, die Jagd nach
vermeintlichen Zauberern und Hexen. Es war eine lange und düstere
Zeit.«
»Judas Ischariot hat vom Plan Gottes gesprochen«, sagte Catherine
vorsichtig. »Wenn sein Verrat ein Teil des göttlichen Plans war, dann ist Ihre Einweihung ebenso ein Teil davon. Mit allen Konsequenzen.«
Der Papst runzelte die Stirn.
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