Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Stille, die sich darin
spiegelte, ließ sie innerlich frösteln und noch mehr auf der Hut sein. Es war ihre erste direkte Konfrontation mit dem Generalinquisitor, und es
würde vermutlich nicht die letzte sein. Unwillkürlich wich sie auf ihrem Stuhl ein wenig zurück. Der Kardinal blieb unmittelbar vor dem Tisch
stehen und legte das Buch vor sie hin.
»Was ist mit jenen Kindern Gottes, die dieses Imaginationsvermögen,
diesen genetischen Code nicht in sich tragen, Schwester?«
Es war Catherine unmöglich, im Ton seiner Stimme zu lesen. »Wie ich
schon sagte, unser Bewusstsein ist nach seinem Abbild geformt. Selbst
um ihn verneinen zu können, müssen wir ihn zunächst bejahen.«
Erst jetzt registrierte sie, dass irgendetwas mit dieser Sitzung nicht
stimmte. Keiner der Anwesenden führte Protokoll. Oder lief irgendwo
verdeckt ein Aufzeichnungsgerät?
Pater Sorti ergriff erneut das Wort. »Sie sind Christin, Schwester
Catherine. Darüber hinaus sind Sie eine katholische Ordensfrau und
haben einen Eid abgelegt. Wenn ich allerdings die Gedankengänge in
Ihrem Buch verfolge, glauben Sie auch an jede beliebige andere
Religion.«
Catherine nickte, während sie spürte, wie ihr Mund immer trockener
wurde. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott einen Menschen
ausschließt, nur weil dieser nicht getauft ist.« Genauso unsinnig war es für sie anzunehmen, dass die römisch-katholische Kirche die Hüterin der
absoluten religiösen Wahrheit war. Warum sollte nicht jeder gläubige
Mensch seinen Glauben auf seine Weise praktizieren dürfen? Gott hatte
so viele Gesichter.
Ciban, der zu Sorti geschaut hatte, kehrte dem Komitee den Rücken zu,
um Catherine erneut mit der unheimlichen Stille in seinen Augen zu
konfrontieren. Es war, als ob ein eisiger Schatten auf ihre Seele fiel.
»Was denken Sie wirklich, Schwester?«, fragte er eindringlich. »Sie
leben den katholischen Glauben, Sie sind ein Teil der Kirche, Sie haben
Ihre Gelübde abgelegt, aber Sie manifestieren einen ganz anderen
Glauben in Ihren Büchern. Was wissen Sie? Was glauben Sie? Was glauben Sie zu wissen?«
Catherine griff nach dem Buch, ohne es jedoch aufzuschlagen. Sie wich
dem Blick des Kardinals nicht aus, allerdings brauchte sie etwas, um sich daran festzuhalten, und wenn es Cibans Exemplar ihres Buches war.
»Wenn Materie nichts anderes als verdichtete Energie ist, Eminenz, dann
ergibt eine Unterscheidung in eine imaginäre und eine materielle Welt
doch keinen Sinn, oder? Ebenso wenig ergibt es Sinn, Gottes
Menschenwelt in katholisch und nicht katholisch zu unterscheiden. Wir
alle sitzen im selben Boot. Ist das wirklich Häresie ?«
Catherine wusste, dass sie sich mit diesen Worten dem Rudel praktisch
zum Fraß vorwarf, aber keiner der schwarzgewandeten Männer hinter
dem Richtertisch schnappte nach dem Happen. Nicht einmal Ciban. Was
war hier los?
»Wie dieses Komitee weiß, vermögen Sie die Welt auf eine Weise zu
sehen, die anderen Menschen verwehrt ist«, fuhr Ciban fort, als hätte die Szene nie stattgefunden. »Wie würden Sie dieses Ihnen von Gott
verliehene ›Privileg‹ einordnen? Als eine rein innere Erfahrung oder als objektive Realität?«
Catherine starrte den Kardinal fassungslos an. Stand ihre Gabe jetzt etwa auf dem Prüfstand? Ihr Austritt aus dem Lux Domini? Die
Gehirnwäsche, die man ihr dabei gnädig erspart hatte? Oder wollte man
über sie gar an Darius heran?
»Ich sehe meine Gabe als ein objektives Faktum an. Ich kann die Realität meiner erweiterten Wahrnehmung nicht einfach wegdiskutieren.«
»Das erwartet auch niemand von Ihnen, Schwester. Was uns vielmehr
interessiert: Ist Ihre Gabe ein Wunder?« Ciban blieb in der Mitte des
Saals stehen, bedächtig und bedrohlich zugleich.
Angespannt rutschte Catherine auf ihrem Stuhl wieder nach vorne,
während sie in die Runde blickte. Erneut fragte sie sich, was hier
eigentlich vorging. War dies ein Tribunal des Lux Domini? Doch warum
sollte ein konservativer Mann wie Ciban mit einem progressiven Orden
wie dem Lux aktiv zusammenarbeiten? Unterstand das Lux nicht
vielmehr der Glaubenskongregation, weil der Orden innerhalb der
Kirche viel zu mächtig geworden war? Oder war der Kardinal etwa
selbst ein Medialer?
Die Jury wartete auf eine Antwort.
»Es gibt laborwissenschaftliche Untersuchungen und
Realwelt-Erfahrungen, die über eine rein metaphysische Grundannahme
hinausgehen. Es stimmt, meine Gabe ist keine Illusion.«
»Sie haben
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