Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
der Welt, über innervatikanische Machtpolitik, über
die Zukunft der Kirche und darüber, dass mit Leos Wahl vielleicht doch
ein neues Zeitalter angebrochen war.
Schließlich fragte Schwester Thea: »Haben Sie für morgen Abend schon
irgendwelche Pläne? Kardinal Benelli hat ein paar von uns zu einem
kleinen gesetzten Essen eingeladen. Er würde sich sicher freuen, Sie
begrüßen zu dürfen.« Mit einem verschwörerischen Zwinkern fügte sie
hinzu: »Sie hätten die einmalige Chance, einige ränkeschmiedende
Kurienmitglieder ganz aus der Nähe zu betrachten. Sozusagen in
Aktion.«
Catherine winkte ab. »Besser nicht. Ich bin das Enfant terrible der
kirchlichen Welt. Meine Anwesenheit könnte die Feier Seiner Eminenz
leicht in ein apokalyptisches Fiasko verwandeln.«
»Oder aber ein paar Dinge ein für alle Mal klären. Über Sie steht so viel in den Zeitungen, Catherine, und noch mehr wird über Sie geredet. Aber
kaum jemand weiß wirklich etwas über Sie. Wir würden uns sehr freuen,
wenn Sie kämen.«
»Danke. Aber ich … Bitte verstehen Sie, dass ich noch einmal darüber
nachdenken muss.«
Thea nickte. »Natürlich. Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht bedrängen.
Sie haben gerade in den letzten Tagen sicher viel durchgemacht.«
Das stimmte. Die letzten Tage waren alles andere als ein
Zuckerschlecken gewesen. Doch die Audienz bei seiner Heiligkeit, das
persönliche Gespräch mit Papst Leo, hatte ihr wieder Hoffnung für die
Zukunft der Kirche gegeben, ebenso wie für ihre eigene. Leo hatte
keinerlei Druck auf sie ausgeübt, er hatte sie nicht getadelt oder auch nur in irgendeiner Form gemaßregelt. Er hatte mit ihr ganz einfach über die
Belange der Menschen gesprochen, über das, was sie bewegte, darüber
was die Männer und Frauen des einundzwanzigsten Jahrhunderts von
ihrer Kirche erwarteten, und darüber, was ihnen die Kirche stattdessen
gab.
»Eigentlich ist die Sache ganz einfach, Eure Heiligkeit«, hatte Catherine schließlich mit leiser Ironie gemeint. »Die oberste Autorität hat der
Heilige Vater. Und der Heilige Vater sind Sie.«
Leo hatte sie angesehen und gelacht. Dann hatte er auf sein Herz
gedeutet und gesagt: »Die oberste Autorität liegt bei ihm, und er ist in unseren Herzen, Schwester Catherine. Ich weiß, er wird Sie nicht fallen
lassen.«
Diese Worte hatten ihr gerade in den dunkelsten Stunden der letzten
Wochen große Kraft gegeben. Doch selbst die kämpferische Jeanne
d’Arc hatte man am Ende auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
»Kommen Sie«, sagte Schwester Thea und berührte Catherine
freundschaftlich am Arm. »Ich zeige Ihnen die vatikanischen Gärten. Ein
bisschen frische Luft und Grün werden uns guttun. Sie werden sehen,
das wirkt wahre Wunder.«
Die vatikanischen Gärten waren wundervoll, ein Paradies mit
zahlreichen Brunnen, Statuen, Gebäuden und Grotten, umgeben von
einer einzigartigen Pflanzenwelt. Bei dem Spaziergang passierten sie
auch Schwester Theas Lieblingsplatz, die Grotta di Lourdes, eine Kopie
der Lourdes-Grotte in Südfrankreich, wo vor mehr als fünfzig Jahren der
Heiligen Bernadette die Jungfrau Maria erschienen war.
Als Catherine am späten Abend ihr Zimmer in der Pension Isa des
Vatikans betrat, dachte sie noch einmal über die Einladung bei Kardinal
Benelli nach. Sie kannte den Mann nicht, aber Thea hatte ihr versichert, dass er zu den aufgeschlosseneren Geistern im Vatikan gehöre und dass
es ihm auf wundersame Weise gelinge, selbst unter seinen erbittertsten
Gegnern echte Freunde zu haben.
Catherine setzte sich an den kleinen Arbeitstisch des Hotelzimmers,
schaltete den Computer ein und rief die E-Mails des Tages ab. Sie war
ein gestrauchelter Engel am Hofe Gottes, und ein Teil der Welt wartete
nur darauf, dass sie fiel. Konnte sie es sich überhaupt leisten, die
Einladung auszuschlagen? Als sie mit ihrer elektronischen
Korrespondenz fast fertig war, stieß sie auf eine am späten Nachmittag
abgesandte Nachricht von Alberto Kardinal Benelli. Der freundliche Ton
der Zeilen wies mit keiner Nuance auf seinen hohen klerikalen Rang hin.
Ohne verletzend zu sein, voller Mitgefühl und noch dazu mit einem
ermutigenden Augenzwinkern fragte er, wie ihr das »globale Dorf«
Vatikan gefalle, nachdem die gestrengen Wächter des Glaubens sich
ihrer angenommen hätten. Im nächsten Atemzug lud er sie auch schon zu
dem kleinen, festlichen Essen ein, das er am folgenden Abend geben
wollte. Er verzichtete dabei auf
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