Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
leite ich das Internetbüro.
Im Übrigen bin ich nicht die einzige Frau, der in den letzten Jahren im
Zentrum des Katholizismus berufliche Anerkennung widerfahren ist.«
Sie setzte die Kaffeekanne auf das Tablett zurück und reichte Catherine
eine Tasse. Dann sagte sie unumwunden: »Ich habe erfahren, dass Sie
den Orden der Franziskanerinnen verlassen werden. Warum?«
Catherine blickte die Ältere erstaunt über den Rand der Tasse an. Ihr
Entschluss konnte unmöglich schon nach draußen gedrungen sein. Nur
die Schwester Oberin wusste bisher davon und einige enge Freunde –
und natürlich der Papst, der sie bei ihrer Ankunft in Rom zu einem
persönlichen Gespräch eingeladen hatte. Sie ließ die Tasse sinken. »Ich
habe meine Gründe«, antwortete sie schlicht.
Schwester Thea blieb hartnäckig. »Das kann ich mir vorstellen, aber
welche?«
Sie atmete tief durch. »Wenn die Glaubenskongregation meine Arbeit
verwirft, und das wird sie letztendlich tun, wird man mich als
Ordensmitglied im gnädigsten Fall zum Schweigen verurteilen. Aber ich
kann nicht schweigen. Also gehe ich … auch um meinem Orden nicht
noch größeren Schaden zuzufügen.«
»Kardinal Bear in Chicago ist auf Ihrer Seite, Kardinal Weinstein in
Wien stellt sich offen zwischen Sie und die Glaubenskongregation, Ihre
Schwester Oberin steht hinter Ihnen …«
»Ich weiß. Das ist auch einer der Gründe, weswegen ich gehen muss.
Durch ihre Gelübde sind sie der Kirche zu Gehorsam verpflichtet, doch
sie sind auch meine Freunde. – Ich kann die Kirche genauso gut von
außen daran erinnern, dass Reformen notwendig sind.« Catherine setzte
ihre Tasse ab. »Darf ich erfahren, wer Sie von meinem Entschluss in
Kenntnis gesetzt hat?«
Ohne zu zögern, antwortete Schwester Thea: »Ein Freund. Er sagt, Sie
sollen sich keine Sorgen machen. Es wird zu keinem kanonischen
Prozess kommen. Nicht, solange Leo Papst ist.«
Catherine zügelte ihre Neugier, um nicht nachzuhaken. Schwester Thea
hatte vermutlich schon mehr verraten, als sie hätte sagen dürfen. »Seine Heiligkeit ist ein außergewöhnlicher Mensch«, sagte sie dann. »Es ist,
als hätten sich alle guten Charaktereigenschaften der letzten Päpste in
ihm vereint.«
Erneut huschte ein Lächeln über Schwester Theas Gesicht. Sie stand auf,
ging zu ihrem Schreibtisch und drehte den großen Flachbildschirm ihres
Computers zu Catherine um. Das Wappen des Heiligen Stuhls, das als
Bildschirmschoner diente, verschwand, und ein Artikel erschien. »Ich
kenne zwar nicht die genaue Statistik, aber diesem Papst verdankt die
Kirche es, dass sie in Deutschland und Europa wieder an Boden
gewonnen hat. Die Gemeinden schrumpfen nicht weiter, die Zahl der
Kandidaten für das Priesteramt steigt … Alles Erfolge, die sich weder
die Traditionalisten noch die Konservativen auf die Fahne schreiben
können.«
Catherine stand auf und trat neben Schwester Thea an den Bildschirm.
Der Artikel stammte aus der deutschen Wochenzeitung Die Zeit und bezog sich auf ein Interview mit dem Kölner Kardinal Herzog, dem
Nachfolger seiner Eminenz Eugenio Kardinal Tore, dem jetzigen
Pontifex maximus.
Schwester Thea sagte: »Seine Heiligkeit ist an erster Stelle Humanist
und erst dann Papst. Viele soziale, ideologische, politische, ethnische
und intellektuelle Schranken existieren heutzutage nicht mehr, und
gerade deshalb hat ihn Ihre Vision der Zukunft, Ihre Vision einer
modernen, anpassungsfähigen Kirche so beeindruckt. Trotz allem – auch
er ist ein Teil des Systems.«
Sie berührte einige Tasten, und ein Heer von E-Mails ergoss sich über
den Schirm. »Die sind alle für Sie, Catherine. Zigtausende – und täglich kommen Hunderte hinzu. Die Menschen hoffen und beten für Sie,
überall auf der Welt.«
»Ich hatte ja keine Ahnung …« Natürlich erreichten sie über ihr eigenes
Postfach immer wieder E-Mails, die sie in ihrer Arbeit bestärkten und
unterstützen oder auch kritisierten … aber eine solch große Zahl – direkt an den Heiligen Stuhl? Catherine war sprachlos.
Zuneigung zeigte sich in Schwester Theas Gesicht, Zuneigung und
Entschlossenheit. »Ganz gleich, was geschieht, ganz gleich, wie Sie sich entscheiden mögen, ob Sie den Orden nun verlassen oder nicht, Sie sind
nicht allein. Ich wollte, dass Sie das wissen.«
Catherine nahm mit der Franziskanerin wieder Platz an dem kleinen
Tisch, trank Kaffee, aß Gebäck und sprach mit ihr, als wäre es die
natürlichste Sache
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