Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
meine Frage nicht beantwortet«, hatte Ciban ungerührt
gesagt. »Was ist Ihre Gabe? Einfach nur eine evolutionäre Besonderheit,
ein Zufall, eine Mutation – oder ein Teil in Gottes Plan?«
»Ich kenne Gottes Plan nicht, Eminenz. Aber muss das eine das andere
ausschließen?«
Ciban musterte sie beinahe milde. »Ob Sie es glauben oder nicht,
Schwester, trotz Ihrer Gabe sind Sie gerade dabei, von der Wahrheit
abzudriften.«
»Dann kennen Sie Gottes Plan, Eminenz?« Sie sah Ciban direkt in die
unerschütterlichen Augen und glaubte für eine Sekunde, ein Signal, ein
ironisches Aufblitzen darin zu erkennen. Doch eine Sekunde darauf
waren da nur wieder diese Kälte und Distanz.
»Glauben Sie mir, es gibt Wahrheiten, die wollen selbst Sie nicht
wissen.«
Noch jetzt lief es Catherine eiskalt den Rücken hinunter, wenn sie an
diese Sitzung zurückdachte. Was hatte Ciban mit diesem letzten Satz
gemeint? War er als Drohung gedacht gewesen? Sie war sich nicht
sicher. Es hatte so viel mehr hinter diesen Worten gestanden. Das hatte
sie deutlich gespürt. Wenn der Kardinal allerdings geglaubt hatte, sie auf diese Art einschüchtern zu können, dann hatte er sich gründlich geirrt.
Catherines Hauptstärke lag darin, dass sie als Autorin und baldige
Exnonne ein sehr prominentes Opfer der modernen Inquisition war und
dass die Weltpresse von ihrem Fall rege Notiz nahm. Die Zeiten der
vollständigen Unterdrückung von Gedanken und Ideen war für die
Kirche längst vorbei.
Als sie den Vatikan durch das Sankt-Anna-Tor betrat, schob sie den
Gedanken an den Prozess und Ciban erst einmal so gut es ging beiseite.
Sie kramte ihren Passierschein hervor und schritt an den beiden
Schweizer Gardisten und den Wachen der Vigilanza vorbei. Bis gestern hatte sie keine Ahnung gehabt, dass das vatikanische Internetbüro sich
direkt im Apostolischen Palast befand. Es gab doch immer wieder
Überraschungen. Nun war sie jedenfalls sehr auf Schwester Thea
gespannt, denn angesichts der Umstände gehörte eine Menge Mut dazu,
Catherine offiziell einzuladen.
11.
Rom, Vatikan, Apostolischer Palast, Internetbüro
Das Internetbüro des Vatikans befand sich drei Stockwerke unter den
Päpstlichen Gemächern. Gleißendes Neonlicht fiel auf ein halbes
Dutzend Schreibtische und dreimal so viele Rechner. Das leise Surren
der Klimaanlage erinnerte Catherine an das Summen eines unsichtbaren
Insektenschwarms. Eine schmale Gestalt erhob sich von einem der
Rechner und kam durch einen engen Gang auf die Besucherin zu, eine
Frau in brauner Kutte und schwarzem Schleier, wie Catherine sie noch
vor kurzem selbst getragen hatte. Die Franziskanerin war die einzige
Frau im gesamten Internetbüro.
»Schwester Catherine, ich bin Schwester Thea. Ich freue mich, dass Sie
gekommen sind.«
Catherine reichte der Franziskanerin die Hand.«Ich danke Ihnen für Ihre
freundliche Einladung. Ihre E-Mail hat mich, gelinde gesagt,
überrascht.«
Ein Lächeln huschte über Schwester Theas Gesicht. »Na ja, ich habe all
Ihre Bücher und Schriften gelesen und wollte unbedingt mit der Autorin
sprechen, bevor sie Rom wieder verlässt. – Möchten Sie Tee oder
Kaffee?«
»Kaffee bitte, wenn es Ihnen keine Umstände macht.«
Schwester Thea drehte sich zu einem der jungen Männer um, der
sogleich aufsprang, um frischen Kaffee zu besorgen. Dann wandte sie
sich wieder Catherine zu. »In meinem Büro können wir ungestört
reden.«
Der Raum war schlicht eingerichtet. Ein Papstporträt und ein Jesus-Bild
hingen an den Wänden und ein Kruzifix über der Tür, so dass die
Franziskanerin es von ihrem hochmodernen Arbeitsplatz aus jederzeit im
Blick hatte. Catherine setzte sich neben Schwester Thea auf eine alte,
sehr bequeme Ledercouch, die aussah, als hätte sie bereits Pius XII.
einen guten Dienst erwiesen. Die Tür ging auf, und der junge Pater kam
mit einem Tablett herein, auf dem zwei schlichte Bürotassen sowie eine
Kanne mit heißem Kaffee standen. Er setzte das Tablett auf dem
Tischchen vor den beiden Frauen ab. Schwester Thea bedankte sich.
»Milch, Zucker?«, fragte sie.
»Nur Milch, bitte.« Catherine musterte die zierliche Person neben ihr.
»Sie leiten das Internetbüro?«
Schwester Thea schenkte ihnen beiden Kaffee ein und nickte. »Die Kurie macht Fortschritte, wenn auch zaghafte. Vor dreizehn Jahren hat man
mich nach Rom berufen, und seither verbreite ich die Botschaften der
universalen Kirche im Web. Seit fünf Jahren
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