Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
geküsst.
In seiner Begleitung bewunderte sie die Marmorflure, die Bilder und
Skulpturen im Staatssekretariat, ebenso wie den einmaligen Blick durch
die hohen Glasfenster auf den Damasus-Hof und den Petersplatz. Es war
atemberaubend. Schließlich hatten sie die Sixtinische Kapelle besucht,
Catherines erklärten Lieblingsort im Vatikan. Es war einfach
unglaublich, in welcher Farbenpracht die Fresken an den Seitenwänden
von Perugino, Botticelli oder Signorelli nach der Restaurierung
erstrahlten, ganz zu schweigen von Michelangelos Altarfresko »Das
Jüngste Gericht«.
»Du strahlst wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum«, meinte Ben
amüsiert. »Vielleicht solltest du öfters nach Rom kommen.«
»Zu einem weniger förmlichen Anlass gerne.« Dann fügte sie mit einem
Zwinkern hinzu: »Ich frage mich jedoch, inwieweit ich einem
Mitarbeiter des Palazzo del Sant’Uffizio trauen kann.«
»Nun, ich bin kein Spion, und ich bin auch nicht Ben der Rächer.«
Catherine lachte leise. »Verzeih mir. Das war dumm von mir
dahergesagt.« Sie wusste nur zu gut, Bens Aura war ohne List und Arg.
Er schüttelte den Kopf. »Nicht nach allem, was du gerade durchmachst.«
Nach einer kurzen Pause ergänzte er nachdenklich: »Was meinst du, wir
könnten das alles hier auch mal für ein paar Stunden hinter uns lassen.
Was hältst du von einem gemeinsamen Stadtrundgang? Natürlich nur,
um dich gründlich auszuspionieren.«
Trotz des erhabenen Ortes konnte sie ein Grinsen nicht gänzlich
unterdrücken. Ein Stadtrundgang, der sie die letzten Tage ein klein
wenig vergessen ließ, war tatsächlich genau das Richtige. Also
verbrachten sie den Nachmittag in der Stadt mit ihren Kuppeln, Türmen
und alten Fassaden und ließen sich als Fußgänger kreuz und quer von
Autos und pfeilschnellen Vespas durch das römische Chaos jagen, vorbei
an Polizisten mit weißen Stulpen und Handschuhen, die vergebens
versuchten, das unkontrollierbare Gewirr der Blechlawinen zu regeln.
Für den nächsten Abend verabredeten sie sich schließlich in den
gemütlich-rustikalen Räumen des Lokals Matricianella nahe dem
Palazzo Borghese zum Essen. Catherine hatte schon die frittierten
Steinpilze, Sardellen, das Gemüse und den Mozzarella auf der Zunge
geschmeckt, doch dann hatte Ben leider absagen müssen. Eine dringende
berufliche Angelegenheit erforderte eine Auslandsreise. Mehr hatte er
dazu nicht sagen dürfen. Doch die junge Nonne war sich sicher gewesen,
dass sein Vorgesetzter Kardinal Ciban hinter dem plötzlichen Auftrag
steckte.
Ciban …
Als Catherine am heutigen Tag den Vatikan betrat, machte sie einen
großen Bogen um das kühle Dienstgebäude der Heiligen Inquisition, das
links vom Petersplatz vor der Nervi-Halle lag.
In den letzten Wochen hatte sie ihren Standpunkt als Frau und Theologin
während zahlreicher Sitzungen vor den klügsten Köpfen der Inquisition
dargelegt und verteidigt, ebenso vor etlichen Glaubenswächtern,
einschließlich dem gestrengen obersten Glaubenswächter Marc Abott
Kardinal Ciban. Auch wenn es im einundzwanzigsten Jahrhundert keine
Scheiterhaufen mehr gab, konnten diese Männer ihre Opfer immer noch
seelisch zu Asche verbrennen.
In den ersten Sitzungen hatten sie alles abgehakt, was Catherine je zu
Empfängnisverhütung, Zölibat, Sterbehilfe, Abtreibung, Unfehlbarkeit
des Papstes oder Ehe und Scheidung geäußert hatte. Sie war selbst ein
wenig überrascht gewesen, zu so vielen Themen Stellung genommen zu
haben. Dann war das Tribunal zu ihren Äußerungen hinsichtlich der
Evangelien übergegangen, wobei Catherines Zweifel an der
Jungfrauengeburt Jesu Christi der willkommenste kritische Punkt war.
Marias Biografie war eine der unglaublichsten der Weltgeschichte. Eine
analphabetische Jüdin wurde die Mutter des Gottessohnes und blieb
darüber hinaus eine immerwährende Jungfrau!
Nicht einmal dem Präfekten der Glaubenskongregation schien das
geheuer zu sein, denn Kardinal Ciban hatte in seinem Buch Christentum geschrieben, dass Jesu Gottsein nicht einmal dann angetastet würde,
wenn er aus einer normalen Eheverbindung zwischen Mann und Frau
hervorgegangen wäre. Seiner Ansicht nach war die Sohnschaft Gottes
keine biologische, sondern eine ontologische Realität, ein Geschehnis in Gottes Ewigkeit. Catherine hatte exakt diese Passage aus Cibans Buch
gewählt, um ihren eigenen Standpunkt zu untermauern. Und genau
dieses verwegene Zitieren veränderte schließlich den weiteren
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