Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
den Weg.
»Ein Motorschaden?«, fragte Ben.
»Nicht ganz«, erklärte der Kardinal, als er sicher war, dass niemand
außer Ben und Catherine mithörte. »Ein Verrückter hat versucht, sie auf
der engen Bergstraße zu überholen, und sie dabei abgedrängt. Gott sei
Dank ist ihnen nichts passiert. Aber der Wagen muss abgeschleppt
werden.«
»Dann sollte ich den Fahrer wohl besser begleiten«, sagte Ben.
»Ich habe Massimo nicht alleine losgeschickt. So gut sollten Sie mich
inzwischen kennen. Es sind alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
Machen Sie sich also keine Sorgen.«
Catherine sah die beiden an, und ihr Blick sagte sehr deutlich: Was zum
Henker geht hier vor? Doch Benelli sagte nur freundlich: »Später« und
geleitete sie zur nächsten Gruppe und zur nächsten, bis Schwester Thea
und Kardinal Bear auf der Bildfläche erschienen, was Kardinal Monti
mit einem ungnädigen Blick zur Kenntnis nahm. Wie der Gastgeber
Catherine erklärte, mochte Monti die Amerikaner nicht. Schon gar nicht
Bear. Er hielt die Amerikaner für durch und durch korrupt und dekadent.
Die Begrüßung war herzlich, so wie es Benellis Art war. Kardinal Bear
hielt sich dabei auch nicht gerade mit höflichen Förmlichkeiten auf. Als er Catherine freundschaftlich umarmte, streifte ihr Blick ungewollt jenen Seiner Eminenz Kardinal Monti. Er prostete ihr mit einem Glas Rotwein
zu, doch das Lächeln um seinen Mund erreichte seine unergründlichen
Augen nicht.
»Was ist passiert?«, fragte Ben, kaum dass die Begrüßung zu Ende war.
Bear sagte so ruhig, als wäre nichts geschehen: »Ich fürchte, da hat ein Irrer versucht, uns einen tüchtigen Schrecken einzujagen. Hätte
Schwester Thea nicht so schnell reagiert, wir hätten die Kurve sicher
nicht mehr geschafft.«
Schwester Thea? Catherine blickte die Franziskanerin fragend an.
Thea erklärte: »Ich bin früher mit meinem Bruder Toni zusammen in
Australien Ralleys gefahren. Ein bisschen was davon steckt noch in
meinen Adern.«
»Gott sei Dank!«, sagte Bear und blickte seine Begleiterin dankbar an.
Er war noch immer weiß wie ein Leintuch. Die Sache war alles andere
als spurlos an ihm vorbeigegangen.
»Was war es für ein Wagen?«, fragte Ben. »Haben Sie den Fahrer
erkannt oder das Nummernschild?«
Der Kardinal schüttelte den Kopf. »Es ist alles furchtbar schnell
gegangen, und wir waren gerade mitten im Gespräch …«
Thea sagte: »Wenn ich mich nicht irre, war es ein grüner Lancia. Ich
habe ihn aber auf dem Parkplatz vor der Villa nicht gesehen.«
Bear wandte sich mit großen Augen an den jungen Monsignore. »Sie
denken, dass es kein Zufall war?«
Ben, der von Schwester Isabellas tödlichem Autounfall in den Schweizer
Alpen gehört hatte, erwiderte: »Ich werde die Sache mit dem grünen
Lancia auf jeden Fall im Auge behalten.«
Benelli räusperte sich und sagte dann mit einem Gesichtsausdruck und in
einem Tonfall, als sprächen sie über nichts anderes als über Theas
Ralley-Vergangenheit oder Bears anstrengenden Kontinentalflug:
»Vorsicht, wir werden später darüber reden. Im Augenblick steuert der
Vorsitzende des Kardinalskollegiums samt Gefolge auf uns zu.«
Seine Eminenz Steffano Kardinal Gasperetti? Catherine hielt die Luft an.
Der kleine, elegante Kleriker mit den Wieselaugen, der sie – bis auf den fehlenden Schnurrbart – an Agatha Christies Hercule Poirot aus der
Romanversion erinnerte, kam tatsächlich auf sie zu. Einmal ganz
abgesehen von der Position, die Gasperetti bekleidete, galt er als einer der konservativsten Männer im Vatikan. Er hatte seine Stimme während
des letzten Konklaves gewiss nicht für Papst Leo abgegeben, ebenso wenig, wie Kardinal Monti dies vermutlich getan hatte, in dessen
Begleitung Gasperetti sich des Öfteren befand. Mit seinen
achtundsiebzig Jahren würde Gasperetti höchstwahrscheinlich ebenso
wenig wie Monti am nächsten Konklave teilnehmen.
Alle Kardinäle, die das achtzigste Lebensjahr bereits vollendet hatten,
waren von der Wahl eines neuen Papstes ausgeschlossen. Jedenfalls
offiziell. Inoffiziell mochte die Sache ganz anders aussehen. Auch wenn
ein Kardinal selbst nicht mehr zum Papst gewählt werden konnte, so gab
es für ihn – sofern er klug war – ausreichend Mittel und Wege, die Wahl
des nächsten Pontifex den eigenen Vorstellungen gemäß zu
manipulieren. Catherine fragte sich, wie gut Leo, Monti und Gasperetti
sich wohl auf dem eisigen vatikanischen Berggipfel, auf dem
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