Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
ich sehe schon, deine alte Neigung zum Herumschnüffeln ist noch immer nicht
erloschen, stimmt’s?«
Ben lachte. »Du weißt, dass Menschen mich schon immer fasziniert
haben, Menschen und ihre Biografien.«
»Deshalb bist du Archivar geworden?«
In Gedanken sah Catherine ihren Freund mutterseelenallein im
Halbdunkel zwischen den hohen Regalen hindurcheilen, alte Folianten
studieren oder sich in einem der geschlossenen Räume des vatikanischen
Archivs in geheime Akten vertiefen. Sie hatte den vorderen
öffentlicheren Bereich des Archivs vor Jahren einmal betreten dürfen
und sich dort reichlich unwohl gefühlt. Ohne ihren damaligen Begleiter
hätte sie sich in den vielen Gängen höchstwahrscheinlich hoffnungslos
verirrt.
»Irgendjemand muss sich doch um den stetig wachsenden Papierberg
kümmern.«
»Und die Archivschätze! Gib es zu.«
»›Geht zu den Quellen‹, hat schon Seine Heiligkeit Papst Innozenz
gesagt. Ich folge nur seinem Ruf. Aber jetzt einmal ehrlich, Catherine.
Hast du dich denn niemals gefragt, wer der neue Mann ist, der den Glauben der katholischen Kirche so vehement gegen alle Veränderungen
verteidigt?«
Catherine seufzte. »Glaub mir, ich habe unseren amtierenden
Großinquisitor hinreichend über seine Arbeit in der
Glaubenskongregation kennengelernt. Sein Stammbaum hat dabei für
mich keine Rolle gespielt.«
Ben parkte den Wagen vor einem großen, sprudelnden Brunnen. Als sie
ausstiegen und die frische Luft in ihre Lungen sogen, blickte Catherine
noch einmal über das traumhafte Panorama des Anwesens. Fast fühlte
sie sich wie in einem der verwunschenen Märchen, die sie aus ihrer
Kindheit in Erinnerung hatte.
Sie stiegen die breite Treppe hinauf und traten durch die hohe Tür, wo
ein Diener ihre Einladungen entgegennahm. In der Empfangshalle hing
ein Kronleuchter so groß wie ein Planet. Kostbare alte Bilder
schmückten die Wände, doch am meisten beeindruckten Catherine die
Wand- und Deckenfresken mit Szenen aus der klassischen Mythologie,
von denen einige, wie Ben ihr erklärte, von dem Erbauer Baldassare
Peruzzi selbst stammen sollten.
Musik drang durch eine breite, offene Flügeltür in die Halle und zog die Besucher geradezu hypnotisch in den Ballsaal. Ein Kammerorchester
spielte Corelli. Rechts vom Eingang war ein zweistöckiges Büfett
aufgebaut, das fast die ganze Wand einnahm. Mit Blumen und Kerzen
geschmückte Tische standen wie Inseln beisammen, an denen die Gäste
Platz nehmen konnten, um zu plaudern, zu essen und zu trinken. Es gab
keine feste Sitzordnung.
Catherine entdeckte die Angehörigen einiger Orden, Jesuiten,
Franziskaner, Dominikaner, Benediktiner. Gruppen hoher und höchster
geistlicher Würdenträger. So genannte Laien, Männer und Frauen, in
festlichen Kleidern und Anzügen. Sie hielt Ausschau nach Schwester
Thea, doch wie es aussah, war die Ordensfrau noch nicht eingetroffen,
ebenso wenig wie der Chicagoer Kardinal Bear, einer der wenigen
Kardinäle, die es wagten, Catherine öffentlich, wenn auch vorsichtig,
den Rücken zu stärken.
Sie räusperte sich irritiert. »Hat Schwester Thea nicht etwas von einem
kleinen Empfang gesagt?« Noch ehe Ben darauf antworten konnte, hatte
sich Seine Eminenz Kardinal Benelli bereits entschuldigend aus einer
kleinen Gruppe Geistlicher gelöst und war mit großen Schritten auf die
beiden zugetreten. Benellis Höflichkeit und Herzlichkeit als Gastgeber
waren so entwaffnend, dass Catherine darüber fast das atemberaubende
Ambiente, das Beklemmungen in ihr hervorrief, vergaß.
»Verzeihen Sie, Schwester Catherine. Ich weiß, es ist viel mehr, als Sie erwartet haben, aber der kleine Schwindel musste einfach sein, um Sie
hierherzulocken.«
Die junge Nonne ließ den kleinen, fülligen Mann mit den leuchtenden
Augen, der sie irgendwie an die pausbackigen Engel aus der Kunst der
Renaissance erinnerte, ein paar Sekunden im eigenen Saft schmoren.
»Ich muss zugeben, Sie haben mich überrascht, Eminenz, doch jetzt
würde ich liebend gerne mehr von Ihrem Plan für den weiteren Abend
erfahren.«
Benelli lachte und hakte sich bei Catherine unter, als wären sie Vater und Tochter bei einem mondänen Stadtbummel. »Kommen Sie, meine Liebe.
Ich stelle Ihnen einige meiner Freunde und Bekannten vor. Ben, ich
wette, Sie möchten uns begleiten.«
Während er Catherine in einem kurzen Abriss die Geschichte der
Cibanschen Villa erzählte, führte er sie von einer Gruppe von
Geistlichen und
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