Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
nicht nachvollziehen«, sagte Catherine. »Dieser Ort ist ein Paradies.«
»Leider aber auch der Ort einer Familientragödie«, erklärte Benelli mit
Gefühl. »Kardinal Cibans Schwester Sarah wurde als junge Frau im Park
tot aufgefunden. Soweit ich weiß, ist die Ursache ihres Todes bis heute
nicht geklärt. Ich vermute, deshalb hat es ihn schließlich in die Stadt
gezogen, nach Rom.«
Catherine war schockiert. Sie hatte mit allen möglichen Erklärungen
gerechnet, aber nicht damit.
Die beiden betraten eine kleine, wunderschöne Kapelle mit kostbaren
Buntglasfenstern, Heiligenskulpturen und einem beeindruckenden Altar.
Benelli verschloss die Tür, vor der einer seiner Angestellten postiert war.
Er verstand unter einem Vieraugengespräch tatsächlich eine Unterredung
in völliger Abgeschiedenheit.
Catherine blickte sich um. »Das ist alles sehr geheimnisvoll, Eminenz.«
Bis jetzt hatte sie sich jede Frage hinsichtlich der bevorstehenden
Unterhaltung verkniffen. Doch ab diesem Zeitpunkt schien ihr jede
weitere Zurückhaltung fehl am Platz, auch wenn sie es sich weiterhin
untersagte, einen Blick auf Benellis Aura zu werfen. Als Kind hatte sie
die Gedanken und Auren der Menschen wahllos gelesen, nicht wissend,
dass ihre Gabe einzigartig war und dass sie dadurch die Privatsphäre
anderer verletzte. Inzwischen beherrschte sie die Gabe wie ein
routinierter Pianist sein Klavier. Wobei die Kontrolle darüber ihr weit
mehr abverlangte als das reine Fließenlassen der Natur.
»Es wird Ihnen gleich noch viel seltsamer erscheinen.« Benelli bedeutete ihr, neben ihm Platz zu nehmen. Sie saßen in der Nähe des Altars in
weichem Kerzenschein, als er in die Innenseite seiner Soutane griff und
eine Fotografie hervorholte. »Ich weiß von Ihrer Gabe, Catherine. Pater
Darius hat mir davon erzählt.«
Die junge Frau blickte ihn fragend an. Dann schaute sie auf das Foto, das Darius und Benelli in freundschaftlichem Einvernehmen auf dem
Petersplatz zeigte. Überall waren Menschen zu sehen, Menschen und
Absperrungen. Das Bild musste unmittelbar vor dem letzten Konklave
aufgenommen worden sein. Wenn Darius Benelli eingeweiht hatte,
musste ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den beiden
Männern bestehen. »Dann sind Sie also ein Mitglied des Lux Domini?«
Benelli nickte und steckte die Aufnahme wieder ein. »Sagen wir, ich bin
ein stilles Mitglied. Ich habe nie offiziell zum Lux gehört. Im Grunde
gehöre ich keiner innerkirchlichen Organisation oder Partei an. Warum
das so ist, werden Sie schon bald erfahren.« Der Kardinal machte eine
kurze Pause, als suchte er nach den richtigen Worten. Schließlich sagte
er so gefühlvoll, wie es ihm möglich war: »Ich habe leider schlechte
Nachrichten für Sie, Catherine. Pater Darius ist – tot.«
Was hatte er da gerade behauptet? Catherine hatte die Worte zwar
gehört, doch sie wollten keinen Sinn ergeben. Der weißhaarige Kardinal
blickte sie mitfühlend an, und plötzlich ahnte sie, dass ihr die eigentliche Eröffnung noch bevorstand.
Benelli fuhr fort: »Es heißt, Darius sei bei einer Bergwanderung tödlich verunglückt, doch wie wir inzwischen wissen, ist das nicht wahr.«
Sie starrte den Kardinal an, all die Selbstkontrolle aufbietend, derer sie in diesem Moment habhaft werden konnte. Sie brachte kein einziges Wort
heraus.
»Es war Mord«, erklärte Benelli. »Und er ist nicht das einzige Opfer, das wir zu beklagen haben.«
Mord?
Die Gedanken wirbelten nur so in Catherines Kopf herum.
Darius …
Bergwanderung …
Verunglückt …
Tot …
Mord …
Sie hatte das dumpfe Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Der Pater war für sie und Ben so etwas wie eine Vaterfigur gewesen, ein
Freund, ein Orientierungspunkt, ein Ruhepol, ohne den sie vermutlich
den Verstand verloren hätten. Und jetzt sollte er ermordet worden sein?
Weshalb?
Während ihr all das durch den Kopf ging, erzählte Benelli ihr von den
anderen Mordopfern, von Schwester Isabella und Pater Sylvester. Beide
ebenfalls inoffizielle Mitglieder des Lux und Angehörige einer
Kongregation, die eine ganz besondere Gemeinschaft mit dem Papst
verband. Wie aus weiter Ferne hörte Catherine den Kardinal schließlich
sagen: »Die Morde an Isabella, Sylvester und Darius sind schon schlimm
genug, doch die eigentlichen Anschläge galten Seiner Heiligkeit.«
Catherine bemühte sich, all das, was Benelli ihr gerade eröffnet hatte,
einzuordnen, in die rechte
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