Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
er mit dem rechten Fuß aufgestampft. Aber dann dämmerte ihm
gerade noch rechtzeitig, dass Merlo kein Idiot war und natürlich begriff, dass es um die Ausgrabungen ging. Mit Sicherheit erinnerte er sich auch
an deRossis Anordnung im Hinblick auf Kleiers Mission. Es musste
etwas Ungeheuerliches vorgefallen sein, wenn Merlo ihn dennoch nicht
sofort zum Präfekten vorließ.
»Was ist passiert, Monsignore?«
Merlo schien hin- und hergerissen, doch da er Kleier einerseits vertraute und andererseits ohnehin nicht verhindern konnte, dass die Medien es
bald aus allen Rohren posaunten, sagte er: »Seine Heiligkeit ist tot.«
LICHT UND FINSTERNIS
2.
12. Juni 1984, Chicago,
Katholische Grundschule für Hochbegabte
Catherine sah sich schüchtern in Dr. Beverly Florenas Arbeitszimmer im
ersten Stock um. Es war klein, einfach und – im Gegensatz zu vielen
anderen Räumen in der Schule – gut gelüftet. Links von der Tür befand
sich eine Regalwand voller Bücher. Vom Fenster aus konnte man auf
den oberen Teil des Schulhofs sehen, wo die älteren Kinder die Pausen
verbrachten. Doch im Augenblick war der Hof leer, obwohl eigentlich
gerade große Pause war. Catherine hatte das abrupte Ende der Pause
verursacht.
»Wie ist noch mal dein Name?«, fragte Dr. Florena, als wüsste sie das
nicht. Neugierig blickte sie von der eierschalenfarbenen Akte auf, die vor ihr auf dem Schreibtisch lag.
Catherine rückte ihren schmalen Körper auf dem viel zu breiten Stuhl
vorsichtig zurecht. »Catherine … Catherine Bell.« Wie es aussah, hatte
ihr Handeln den Schulbetrieb völlig durcheinandergebracht. Und wenn
schon, sie würde es jederzeit wieder tun.
»Wie alt bist du, Catherine?«, fragte die Lehrerin.
»Neun. Fast zehn.« Für die Schülerin sah Dr. Florena mit ihrem langen
blonden Haar und den blauen Augen wie ein Engel aus. Tatsächlich hatte
die Direktorin keine Ahnung, wie attraktiv ihr schlichtes Äußeres auf die anderen wirkte.
»Du weißt, weshalb du hier bist?«, fragte Dr. Florena sanft.
Catherine nickte unsicher. »Ja.«
Die Lehrerin holte tief Luft, aber ihr Gesicht blieb offen und freundlich.
»Du hast behauptet, dass Mr. Eliot ein sehr böser Mann sei, Catherine.
Du bist auf dem Schulhof vor ihn hingetreten und hast vor all den
anderen Kindern und Lehrern zu ihm gesagt, dass er ein Mörder sei.«
Catherine nickte und schwieg.
»Du weißt, was eine Lüge ist, Catherine?«
»Eine Lüge ist eine Unwahrheit«, antwortete sie, ohne sich ein weiteres
Mal auf dem breiten Stuhl zu rühren.
Die Lehrerin sah das Mädchen nachdenklich an. »Eine Unwahrheit zu
verbreiten, ist eine sehr böse Sache, Catherine.«
»Ich weiß.«
»Wie kommst du dann dazu, Mr. Eliot einen Mörder zu nennen?«
»Ich habe seine schwarzen Gedanken gesehen.«
Mehrere Sekunden lang herrschte Schweigen. Im Hintergrund sah
Catherine den alten, schwer gebeugten Hausmeister mit einem Eimer
und einem Besen über den Schulhof gehen.
Schließlich sagte Dr. Florena: »Es ist eine schlimme Sache, einen
unschuldigen Menschen des Mordes zu bezichtigen. Du wirst dich bei
Mr. Eliot entschuldigen.«
Catherine schüttelte heftig und wie in Panik den Kopf. »Nein, das werde
ich nicht tun! Mr. Eliot ist nicht unschuldig. Er ist ein sehr böser Mann.
Ich habe es in seinen Gedanken gesehen.«
Dr. Florena blickte die Schülerin betroffen an und wartete einen
Moment. »Catherine, selbst wenn dem so wäre, ich meine, selbst wenn
du Mr. Eliots Gedanken tatsächlich sehen könntest … Wir haben alle
manchmal … schwarze Gedanken. Das heißt aber noch lange nicht, dass
wir Böses tun. – Oder?«
Catherine schüttelte resignierend den Kopf. »Nein.« Doch dann fügte sie
bestimmt hinzu: »Aber Mr. Eliot hat Böses getan. Er trägt dieses Böse die ganze Zeit mit sich herum. Es ist der schwarze Schleier, der ihn
stehts umgibt.«
Dr. Florena starrte ihr Gegenüber verblüfft an. »Ihn umgibt ein
schwarzer Schleier?«
Catherine nickte, woraufhin die Lehrerin sagte: »Mr. Eliot ist nicht nur ein ausgezeichneter Pädagoge, sondern auch ein sehr angesehener Mann.
Er hat diese Schule immer beschützt.«
Einen Augenblick lang dachte Catherine über Dr. Florenas Worte nach.
»Aber, wenn er diese Schule immer beschützt hat, warum hat er dann
nicht auch den Jungen beschützt? Warum tut er dem Jungen mit der
Narbe auf dem Rücken und all den anderen Kindern weh?«
Die Direktorin stockte und starrte Catherine mit großen Augen
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