Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
an. »Der
Junge mit der Narbe auf dem Rücken?«
Catherine nickte. »Der Junge im Fernsehen, den die Polizei sucht.«
»Woher weißt du, dass der Junge eine Narbe auf dem Rücken hat?«
»Ich habe die Narbe in Mr. Eliots Gedanken gesehen. Es ist die gleiche
Narbe wie bei den anderen Jungen. – Ein Kreuz.«
Dr. Florena hörte nicht auf, sie anzustarren. Dann griff sie zum Telefon und ließ sich mit einem Mann verbinden, den sie Pater Darius nannte.
Sie schien ihn gut zu kennen.
3.
Gegenwart, Oberbayern, Berg über der Abtei Rottach
Pater Darius blickte auf die tief unten im Tal gelegene Klosteranlage mit ihrer jahrhundertealten geistlichen Tradition. Die roten Ziegeldächer und das Weiß der Fassaden leuchteten in der Sonne wie frisches Blut auf
reinstem Schnee. Er meditierte gerade über sein Leben, über die
aufreibenden Jahre im Institut und darüber, dass seine beste Schülerin,
Schwester Catherine Bell, gerade in Rom für ein informelles Gespräch
vor der Glaubenskongregation stand, als unverhofft eine Männerstimme
ertönte.
»Pater Darius?«
Der Angesprochene drehte sich vorsichtig um und blinzelte. Wer immer
ihn hier oben auf dem Berg bei seiner Meditation unterbrach, stand im
gleißenden Gegenlicht. Darius konnte lediglich die Silhouette sehen. »Ja, der bin ich. Sie wünschen?«
»Entschuldigen Sie, Pater, ich wollte Ihre Meditation nicht stören. Aber
…« Der Besucher zögerte kurz. »Seine Eminenz Kardinal Ciban schickt
mich. Ich komme in einer dringenden Angelegenheit aus Rom.«
»Das muss es wohl sein, wenn Kardinal Ciban Sie einen so weiten Weg
zurücklegen lässt, um mich aufzusuchen.«
Rom. Vor wenigen Jahren war Darius offiziell in den Ruhestand
getreten, doch Rom und der Orden ließen ihn wohl nie ganz los. Ob der
Fremde wegen Catherine hier war? Suchte der gestrenge Großinquisitor
Ciban etwa seinen Rat? Darius wandte sich dem Mann wieder zu und
versuchte einen Blick auf dessen Gesicht zu erhaschen. Vergebens. Die
Sonne stand direkt hinter seinem Gegenüber und verlieh ihm einen
Heiligenschein.
»Verzeihen Sie, aber Sie haben Ihren Namen nicht genannt.«
»Monsignore Nicola deRossi.«
»Dann war Kardinal deRossi mit Ihnen verwandt?«
»Er war mein Großonkel, Pater.«
»Ah ja.« Darius nickte nachdenklich. »Zeigen Sie mir bitte Ihren Ring.«
DeRossi zog den Ring vom Finger und reichte ihn dem Pater, damit
dieser die Innenseite in Augenschein nehmen konnte. Der Mann schien
in der Tat für Ciban zu arbeiten. Doch vorsichtshalber noch ein weiterer Test.
»Intellige, ut credas, verbum meum; crede, ut intelligas, verbum Dei.«1
»Per fidem operationis Dei.«2
1 Wisse, um zu glauben, das ist mein Wort; glaube, um wissen zu
können, das ist Gottes Wort. Augustinus
2 Durch den Glauben an die Kraft Gottes. NT 1, Korinther 2,12
Darius’ Lippen verzogen sich zu einem leisen ironischen Lächeln. »Sie
sind tatsächlich ein Mitglied des Lux Domini. Was für ein Wandel in den
Generationen. Ihr Großonkel war als Inquisitor noch ein Mann des Opus
Dei.«
Das progressive Lux Domini, dem das Institut seit einigen Jahren
unterstand, war so ziemlich das genaue Gegenteil des ultrakonservativen
Opus Dei. Die Gefechte zwischen den beiden Orden hatten seit Papst
Leos Reformpolitik massiv hinter den Kulissen zugenommen.
»Mein Großonkel war ein gelehrter, leidenschaftsloser Mann, von kaltem
und unbarmherzigem Charakter.«
»Und sehr erfolgreich«, entgegnete Darius ernst. Die Luft war von
Frühling erfüllt und noch von etwas anderem, das der Pater nicht zu
bestimmen vermochte. Er ignorierte das unangenehme Gefühl, das sich
mit diesem anderen, unbestimmbaren Etwas verband. »Weswegen
schickt Kardinal Ciban Sie nun zu mir?«
»Es geht um die Kongregation Seiner Heiligkeit. – Sie schweben als
Mitglied des Rates in Lebensgefahr, Pater.«
Darius war irritiert. »Selbst wenn ich in Lebensgefahr schwebte und
auch wenn Sie tatsächlich dem Lux angehören, woher wollen Sie wissen,
dass ich ein Mitglied der Kongregation Seiner Heiligkeit bin,
Monsignore? Kardinal Ciban hat es Ihnen ganz sicher nicht gesagt.«
DeRossi trat aus dem Gegenlicht. Er war groß und kräftig und auf eine
teuflische Art gutaussehend. Selbst die schlecht verheilte Narbe über
dem linken Auge konnte seiner Attraktivität nichts anhaben, eher im
Gegenteil.
»Sie sprechen wie ein Inquisitor. Leider ist meine Zeit knapp bemessen.
Mein Auftrag lautet, Sie sofort in Sicherheit zu
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