Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
stieß auf eine Reihe von schlanken, spiralartigen Säulen
und in der Ferne auf etwas, das aussah wie …
Er hielt den Atem an.
Eine Bibliothek!
Pius’ privates Geheimarchiv? Konnte das die Bibliothek sein, die Pius
vor den Nazis hatte in Sicherheit bringen lassen?
Kleier hörte Sebastiano von oben rufen, ob alles in Ordnung sei.
Natürlich war alles in Ordnung. In bester Ordnung! Er rappelte sich auf
und näherte sich dem ersten Regal, während er sich weiter umschaute
und hoffte, dass seine Augen sich rasch an die Dunkelheit gewöhnten.
Schließlich erreichte er eines der Wandregale. Es waren weit weniger
Borde, als er sich erhofft hatte. Im Ganzen waren es nur drei. Er blickte über die alten Bände, nahm strichprobenartig einige heraus und stellte
fest, dass sie für die Lagerung hier unten präpariert worden waren.
Sämtliche Werke waren in Latein, alle inhaltlich und chronologisch
archiviert. Wie es aussah, waren es ausschließlich Abschriften und
Übersetzungen deutlich älterer Werke. Nach einigen weiteren Proben
begriff Kleier, es handelte sich um unbekannte christliche Werke, um
apokryphe Bücher der Bibel. Der Archäologe blickte sich um, suchte nach einem Band, den er als Beweis mit an die Oberfläche nehmen
würde.
Ein schmaler scharlachroter Einband stach ihm ins Auge. Es war der
einzige rote im Regal, außerdem hatte das Buch ein Format, das sich
leicht nach oben transportieren ließ. Er schlug es auf. Die
Apostelgeschichte? Als apokryphe Schrift? Das konnte interessant sein!
Nachdem Kleier den Strahler neu ausgerichtet hatte, begann er den Text
zu überfliegen, wobei er ab und an ein Lebenszeichen von sich gab, um
Sebastiano zu beruhigen. Keine Viertelstunde später war dem
Wissenschaftler klar, dass er hier eine Revolution, sozusagen eine
Bombe in Händen hielt. Nach diesem apokryphen Text erschienen das
Pontifikat von Pius, die Geschichte des Papsttums, ja, die Geschichte der gesamten katholischen Kirche in einem völlig neuen Licht.
Kleier zitterte vor Aufregung, zwang sich jedoch zur Ruhe und steckte
den Band unter seinen Arbeitsanzug. Das war fürs Erste mehr als genug.
Vorsichtig und langsam bewegte er sich zum Eingang zurück und zog
den Strahler aus der nachtdunklen Öffnung. Auf den fragenden Blick
seines Assistenten antwortete er lediglich mit einer eiligen und strengen Geste.
Dann krochen sie schweigend zum breiteren und höheren Haupttunnel
zurück, denn Dr. Kleier hatte von Seiner Eminenz Kardinal deRossi eine
eindeutige Anweisung erhalten, sollte er bei seiner Arbeit auf etwas
Außergewöhnliches stoßen. Und dies war eindeutig etwas
außergewöhnlich Außergewöhnliches!
* * *
Eine knappe Stunde später betrat Kleier mit eiligen Schritten den Palast des heiligen Offiziums und rannte die jahrhundertealten, ausgetretenen
Stufen empor. Hier wachte noch immer die römische, weltweite
Inquisition .
Als er das Vorzimmer zum Büro des Präfekten der
Glaubenskongregation erreichte, spürte er eine ungewöhnliche innere Anspannung bei dem Sekretär. Monsignore Merlo war seinem
Vorgesetzten treu ergeben und hatte sogar auf seine Pensionierung
verzichtet, um seiner Arbeit unter deRossi weiter nachgehen zu können.
Es hieß, der alte Sekretär kenne beinahe ebenso viele vatikaninterne
Geheimnisse wie der Kardinal.
»Was kann ich für Sie tun, Doktor?«, fragte Merlo. Dessen äußere
Gelassenheit hätte Kleier überzeugt, wenn er den alten Mann nicht
besser gekannt hätte.
»Ich muss Seine Eminenz sprechen, Monsignore. Dringend.«
Merlo schüttelte entschuldigend den Kopf, während er den Archäologen
in seiner verdreckten Arbeitskluft so taktvoll wie möglich von oben bis
unten musterte. »Das ist leider nicht möglich, Doktor. Seine Eminenz
befindet sich gerade in einer wichtigen Besprechung.«
Kleier musste an sich halten. Was konnte wichtiger sein als seine
unglaubliche Entdeckung unter den Fundamenten des Vatikans?
»Es ist wirklich äußerst dringend«, brachte er mühsam hervor. »Es geht
um das Fundament des römisch-katholischen Glaubens.«
Merlo schien nur wenig beeindruckt. Schon zu viele Feinde und
Herausforderungen hatten den Glauben zu erschüttern versucht. Bisher
ohne Erfolg. Er lächelte milde und wirkte dabei sehr müde.
»Ich muss Sie dennoch um Geduld bitten, Doktor. Die Besprechung
Seiner Eminenz kann nicht unterbrochen werden.«
»Es geht um die Ausgrabungen«, fügte Kleier nachdrücklich hinzu. Fast
hätte
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