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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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mit Wein ein.«
    »Das ist verdammt bitter.«
    »Weil Aloe drin ist. Es ist
hiera picra
. Galen hat es
species ad longam vitam
genannt. Es hilft auch bei Frauenbeschwerden.« »Das hoffe ich.«
    Die Kerze flackerte. Die Mäuse hatten aufgehört zu rascheln.
    »Rixa?«
    »Was ist?«
    »Hat deine Herkunft
. . .
dass du
. . .
«
    »Dass ich Jüdin bin? Ob das einen Einfluss darauf hat, was ich tue? Natürlich.«
    »Mein Geschlecht«, begann sie plötzlich nach langem Schweigen, »stammt vom Niederrhein, aus Xanten. Fast alle aus meiner Familie
     sind 1096 ermordet worden. Der Kreuzzug!
Deus lo volt!
Die Ritter Emich und Gottschalk hatten den Appell Papst Urbans II. gehört. Und waren ihm begeistert gefolgt. Sie begannen
     den Kampf um das Grab Christi mit einem Massaker an den niederrheinischen Juden. In Xanten hat ein einziger Junge überlebt,
     Jehuda, angeblich nur, weil er sich taufen ließ. Als Guido Fonseca hat er dann in Italien gelebt, wo er zum Glauben seiner
     Vorväter zurückkehrte oder, wie ihr esausdrückt, erneut der
perfidia judaica
verfiel. Seine Nachkommen, jetzt wiederum Juden, wurden 1288 aus Neapel vertrieben. Sie gingen in die Welt hinaus. Ein Teil
     der Familie wanderte nach Bern aus. 1294 verschwand dort ein Kind. Spurlos, unter ungeklärten Umständen. Klarer Fall, ein
     Ritualmord, die Juden hatten den Hosenscheißer entführt und Mazze daraus gemacht. Wegen dieser schrecklichen Tat wurden alle
     Juden aus Bern vertrieben. Mein Vorfahre, ein Rabbiner, der damals den Namen Mevorach ben Kalonymos trug, lebte in Weinheim.«
    »Im Jahre 1298 hatte angeblich jemand in der fränkischen Stadt Röttingen eine Hostie geschändet. Der verarmte Ritter Rintfleisch
     glaubte, dadurch ein Zeichen von Gott erhalten zu haben. Die Heiligenschänder sind die Juden, verkündete er, schlage die Juden
     tot, wer an Gott glaube. Es fanden sich viele Gläubige, Rintfleisch aber stand an der Spitze jener Horde von Judenschlägern,
     mit der er das gottgefällige Werk verrichtete. Nachdem die jüdischen Gemeinden in Rothenburg, Würzburg, Nördlingen und Bamberg
     ausgerottet worden waren, war die Reihe an Weinheim. Am zwanzigsten September fielen Rintfleisch und seine Schläger ins Judenviertel
     ein. Rabbi Mevorach und seine Familie, alle Juden, Jüdinnen und ihre Kinder wurden in die Synagoge getrieben und dort bei
     lebendigem Leibe verbrannt. Insgesamt neunundsiebzig Personen. Nicht viel, bedenkt man, dass Rintfleisch in Franken und Schwaben
     insgesamt fünftausend Menschen tötete. Davon viele auf weit phantasievollere Weise.«
    »Mit dem Rest der Familie, die in der Diaspora lebte, wurde ebenfalls nach klassischer Methode verfahren: Mein getaufter Urgroßvater,
     Paolo Fonseca, wird 1319 in Frankreich während der Revolte der
Pastoureaux
ermordet. Die
Pastoureaux
ermordeten in der Regel Adelige, Mönche und Priester, aber über Juden und Wiedertäufer machten sie sich mit besonderem Eifer
     her, häufig auch spontan unterstützt von den Einheimischen. Weil er wusste, was die
Pastoureaux
Frauen und Kindernantaten, erwürgte mein im Kerker von Verdun-sur-Garonne gefangener Urgroßvater meine Urgroßmutter und die beiden Kinder mit
     eigenen Händen.«
    »Mein Großvater Izhak Jochanon, der im Elsass lebte, verlor 1338 fast seine gesamte Familie bei einem von den berühmtberüchtigten
     Massakern, die Bauernbanden, die sich Judenschläger nannten, begingen. Eine meiner Vorfahrinnen, die sich zu erwürgen keiner
     erbarmte, wurde von den Judenschlägern mehrfach vergewaltigt. Es ist also durchaus möglich, dass ich seit jener Zeit einen
     kleinen Spritzer Christenblut in mir habe. Du freust dich nicht darüber? Stell dir vor, ich mich auch nicht.«
    Rixa schwieg. Reynevan räusperte sich.
    »Und was war
. . .
später?«
    »Das Jahr 1394.«
    »Der Schwarze Tod.«
    »Du hast es erraten. Schuld am Ausbrechen und an der Ausbreitung der Seuche waren selbstverständlich die Juden, das war eine
     jüdische Verschwörung zur Ausrottung aller Christen. Rabbi Peyrat von Toledo, du hast bestimmt von ihm gehört, hat Agenten
     in ganz Europa ausgesandt, um Brunnen, Quellen und Bäche zu vergiften. Also hat man sich darangemacht, die Täter zu bestrafen.
     Mit einer flächendeckenden Aktion. Viele von meinen Verwandten waren unter den Sechstausend, die man in Mainz bei lebendigem
     Leibe verbrannt hat, und auch unter den Zweitausend, die in Straßburg verbrannten; sie waren unter den Opfern der Massaker
     in Bern, Basel,

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