Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Freiburg, Speyer, Fulda, Regensburg, Pforzheim, Erfurt. Magdeburg und Leipzig und mehr als dreihundert jüdischen
     Gemeinden, die man damals in Deutschland vernichtet hat. Sie waren unter den Ermordeten in Basel und in Prag, aber auch in
     Neisse, Brieg, Guhrau, Oels und Breslau. Ich habe vergessen, dir zu sagen, dass ein großer Zweig meiner Familie schon damals
     in Schlesien wohnte. Und in Polen. Dort sollte es besser sein. Sicherer.«
    »War es das?«
    »Alles in allem, ja. Aber später dann, als die Seuche bereits wieder verschwunden war
. . .
Ein Pogrom hat es 1360 in Breslau gegeben. Es hat gebrannt, die Juden wurden beschuldigt, mehrere Dutzend Menschen wurden
     erschlagen oder in der Oder ertränkt, aus meiner Familie waren es nur zwei. Etwas schlimmer war es in Krakau im Jahre 1407,
     am Dienstag nach Ostern. Man findet ein Christenkind, erschlagen und selbstverständlich getötet, um Christenblut zu erlangen,
     das man unbedingt zum Backen des Passah-Brotes benötigt. Daran sind natürlich die Juden schuld, aufkommende Zweifel zerstreuen
     die Priester von den Krakauer Kanzeln herab. Der in den Kirchen aufgehetzte Pöbel macht sich an die Bestrafung. Mehrere Hundert
     Juden verlieren ihr Leben, mehrere Hundert werden gezwungen, sich taufen zu lassen. Und deshalb, hör mir gut zu, bin ich zwei
     Jahre später als Christenkind, als Kind einer getauften Mutter und eines getauften Vaters, auf die Welt gekommen. Reingewaschen
     vom Wasser der Taufe, erhalte ich den Namen Anna, zu Ehren der Heiligen, deren Gotteshaus in Krakau 1407 in Flammen aufgegangen
     war, von böswilligen Krakauern in ihrem mörderischen Elan gleich mitangezündet. Anna nennt man mich zum Glück nicht lange,
     denn 1410 flieht meine Familie von Polen nach Schlesien, nach Striegau, und kehrt,
o perfidia judaica!
zum mosaischen Glauben zurück. In Striegau wohnen auch ein paar Verwandte, insgesamt leben dort einhundertvierzig Anhänger
     unseres Glaubens. Dreiundsiebzig davon, darunter auch mein Vater Samuel ben Gershom, verlieren während des Pogroms von 1410
     ihr Leben. Der Grund? Das Blasen des Schofar zu Beginn von Rosch ha-Schana wird als Signal zum Angriff auf die Christen gedeutet.
     Meine Mutter flieht mit Vaters Schwestern und mir, dem einjährigen Kind, nach Jauer. Dort erlebe ich dann im Jahre 1420 im
     Alter von elf Jahren mein zweites Pogrom am eigenen Leibe. Glaub mir, das ist ein unauslöschlicher Eindruck.«
    »Ich glaube es dir.«
    »Ich beklage mich nicht.« Sie warf heftig den Kopf in den Nacken. »Merk dir das bitte. Ich bemitleide weder mich selbst noch
     mein Volk. Weder Jerusalem noch den Tempel.
Uwene Jerushalaim ir hakodesh bimhera wejameinu!
Ich kenne die Worte, aber was sie bedeuten, weiß ich nicht. Ich gedenke nicht, an den Wassern Babylons zu sitzen und zu weinen.
     Ich erwarte auch kein Mitleid von anderen, geschweige denn Toleranz. Aber du hast gefragt, ob das Einfluss auf mich hatte.
     Jawohl, das hatte es. Bestimmte Dinge soll man besser gar nicht erst in Angriff nehmen, wenn man Angst hat, wenn die Furcht
     vor den Konsequenzen, vor dem, was geschehen könnte, einen lähmt. Ich habe keine Angst. Über Generationen hinweg habe ich
     Mut gesammelt
. . .
Nein, nicht Mut. Widerstandsfähigkeit gegenüber der Angst. Nein, nicht Widerstandsfähigkeit. Unempfindlichkeit.«
    »Ich verstehe.«
    »Das bezweifle ich. Lass uns schlafen. Wenn dein Mittel wirkt, machen wir uns auf, sobald es dämmert. Wenn es nicht wirkt,
     dann auch.«
     
    Der Familienrat auf Sterzendorf war allen Erwartungen zum Trotz ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Mit bewunderungswürdigem
     Tempo waren fast alle anstehenden Angelegenheiten zu einem vorteilhaften Ende gebracht worden. Das Verdienst dafür gebührte,
     wie es schien, ganz und gar den beiden Vorständen des Familienrates; einmütig waren Heinrich von Landsberg, Kanonikus des
     Kollegiatstifts von Falkenberg, und Ritter Apeczko, Familienoberhaupt der Sterz’, dazu bestimmt worden. So war über den umstrittenen
     Anspruch auf den Grenzverlauf einer Gemarkung, den Heinrich »der Kranich« von Baruth und das durch einen knurrigen Mönch vertretene
     Kloster von Namslau erhoben hatten, ohne die erwarteten Zänkereien entschieden worden. Es kam auch nicht zu den erwarteten
     heftigen Auseinandersetzungen zwischen Morold von Sterz und Lancelot von Rachenau, die wegen einerangeblich betrügerischen Transaktion beim Kauf von Hornvieh zerstritten waren. Schnell geschlichtet war auch

Weitere Kostenlose Bücher