Lux perpetua
noch bevor er die Hand sinken ließ, stürzten sich die sechstausend Kämpfer von Tábor
mit wildem Geschrei auf die Stadt Bunzlau. Im Handumdrehen wurden diejenigen erschlagen, die sich auf dem Marktplatz befanden,
die abgeschlachtet, die man in den Gassen vorfand. Dann drang man in die Häuser ein. Ein einziger Schrei der Verdammung drang
dort heraus, dann fielen die aus den Fenstern gestürzten Leute wie Hagelkörner herunter. Im Inneren der Häuser wurde das Massaker
fortgesetzt, Pardon wurde nicht gegeben, die Straßen waren im Nu mit Leichen übersät. Blut floss in Strömen in die Rinnsteine,
spülte Seifenreste und Urin daraus hinweg und wusch Abfall, Mist und Unrat fort.
Die Bunzlauer Gotteshäuser boten keinen Schutz. Die sich in der Marienkirche und in St. Nikolaus Zusammendrängenden wurden
erschlagen. Abgeschlachtet wurden die Menschen vor der Heilig-Kreuz-Kirche der Dominikaner und auf dem kleinen Platz vor St.
Dorotheen. Kurze Zeit gewährte die Kirche der heiligen Hedwig Asyl, in die sich etwa hundert Bürger und Geistliche geflüchtet
hatten. Dann drangen die Hussiten in die Vorhalle, ins Kirchenschiff und ins Presbyterium ein. Niemand kam mit dem Leben davon,
und die Kirche ging in Feuer auf. Helle Flammen und eine Rauchsäule schlugen gen Himmel.
Als es begonnen hatte, als man den Bärtigen im blauen Mantel köpfte, hatte Samson einen Schritt nach vorn getan, so, als wolle
er einschreiten. Vom Demeriten an der Schulter gepackt, riss er sich los, blieb aber stehen, ging nicht weiter und mischte
sich nicht ein. Er lief auch nicht hin. Er drehte sich nur um und wurde kalkweiß. Er blickte Reynevan an. Und Scharley. Dann
wieder Reynevan. Und dann nach oben, zum Himmel. So, als erwarte er von dort etwas.
»Bruder!« Reynevan wandte sich nicht an Kroměšín, sondern an Otíka z Lozy, den er besser kannte. »Wirke auf den Hetman ein,
verhindere dieses Massaker! Wo ist der Bürgermeister dieser Stadt? Otto Arnoldus! Ich muss mit ihm sprechen!«
»Warum?«
»Er besitzt Informationen von höchster Wichtigkeit!«, log er glattzüngig, die Schreie der Opfer übertönend. »Geheim, von besonderer
Bedeutung! Für die Sache!«
»Na, da habt ihr Pech, du und die Sache!«, sagte Kroměšín, der mitgehört hatte. »Da, das ist Bürgermeister Arnoldus. Und da,
das ist der Kopf von Bürgermeister Arnoldus.«
Er wies auf den ersten Toten, den Bärtigen im blauen Mantel, den man über der Deichsel geköpft hatte.
»Mir ist es sogar leid um ihn«, fügte er hinzu. »Herr, gib ihm die ewige Ruhe.
Et lux perpetua luceat ei.«
»Er
. . .
« Reynevan schluckte. »Arnoldus hatte eine Ehefrau
. . .
Leute! Wer kennt sie? Wer weiß
. . .
«
»Ich weiß es!«, meldete sich eifrig einer der Bunzlauer, einer von denen, die den Taboriten als Führer dienten.
»Hier in der Zollgasse. Ich zeige es Euch!«
»Führe mich hin.«
Wirida Arnoldus, die frisch gebackene Witwe des Bürgermeisters, fanden sie noch lebend. In ihrer geplünderten Wohnung. Sie
krabbelte auf dem Boden herum und versuchte mit zitternden Händen, ihre zerrissene Kleidung in Ordnung zu bringen und ihre
Blöße mit den Streifen ihres zerfetzten Kleides und Hemdes zu bedecken. Samson sog hörbar die Luft ein. Scharley fluchte.
Reynevan wandte den Blick ab.
Im Feldheer von Tábor wurde die Vergewaltigung von Frauen streng bestraft, die von Žižka eingeführten Statuten sahen für Vergewaltigung
das Auspeitschen oder sogar die Todesstrafe vor. Aber Žižka war seit fünf Jahren tot und seine Statuten sichtlich veraltet
und aus der Mode gekommen. Sie hattender Zeit nicht standgehalten. Wie so viele andere Prinzipien und Regeln.
Samson nahm seinen Umhang ab und legte ihn der Frau über die Schultern. Reynevan kniete sich neben sie hin.
»Verzeiht Herrin«, stammelte er. »Ich weiß, es ist nicht der richtige Moment
. . .
Aber das ist eine Frage von Leben und Tod
. . .
Es geht um die Rettung einer Person, die in schwerer Bedrängnis
. . .
Ich muss
. . .
Ich muss Euch eine Frage stellen. Bitte
. . .
«
Die Frau schüttelte den Kopf und krallte ihre Finger in ihre zerzausten Haare. Reynevan wollte schon ihre Schulter berühren,
hielt sich aber noch rechtzeitig zurück.
»Ich bitte Euch, Herrin«, sagte er noch einmal. »Ich flehe Euch an. Ich knie vor Euch. Ich weiß, dass Ihr einst in einem Kloster
gefangen wart. Sagt mir, wo.«
»In Marienstern«, sagte sie. »Und jetzt lasst mich allein. Geht weg. Und
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