Lux perpetua
verstanden.Der ist kein schwarzer Reiter mehr, keiner mehr aus der Todesrotte. Er hat die Religion gewechselt. Und die Fronten.«
»Ein Renegat?«
»Pragmatismus, Reynevan, vergiss das nicht. Kein Renegat, kein Verräter, kein Judas Ischariot, sondern ein Vorteil. Für unsere
Sache.«
»Hör mal, Horn
. . .
«
»Genug. Genug davon, Schluss mit dem Gerede. Ich habe dir das alles nicht ohne Grund gesagt, ich habe den Pragmatismus nicht
ohne Grund erwähnt. Du wirst bald vor Neplach stehen. Dann erinnere dich an das, was ich dir gerade erzählt habe. Zieh einen
Nutzen aus dieser Lehre.«
»Aber ich . . .«
»Schluss mit dem Gerede! Eulenberg liegt vor uns.«
Auf Eulenberg blieben sie nicht lange. Reynevan blieb gar nicht dort. Gleich hinter dem Tor, wo aus der Schmiede das Hämmern
von Eisen herüberschallte, gab man ihm ein frisches Pferd. Und dort erschien auch die neue Eskorte, fünf äußerst finster dreinblickende
Waffenknechte. Es war noch keine Stunde vergangen, da fand er sich bereits wieder auf der Straße, hinter ihm wurde der hohe
Wall des Bergfrieds, des Wahrzeichens von Eulenberg, das sich hoch über die bewaldeten Hänge erhob, immer kleiner und kleiner,
je weiter sie sich entfernten.
Nach kurzer Zeit holte Urban Horn sie ein.
»Irgendwie kannst du dich wohl nicht so recht von mir trennen«, bemerkte Reynevan spitz, nachdem er sich auf ein Zeichen hin
hinter die Eskorte hatte zurückfallen lassen. »Vielleicht weißt du etwas, was ich nicht weiß? Beispielsweise, dass du mich
womöglich nie mehr lebend wiedersiehst?«
Horn schüttelte nur den Kopf und brachte sein Pferd zum Stehen.
»Ich möchte dir einen Rat geben. Zum Abschied.«
»Dann gib ihn mir. Lass uns diese unwürdige Szene so kurzwie möglich halten. Sag mir, was erwartet mich in Prag? Was wird aus mir?«
Horn wandte den Blick ab. Aber nur kurz.
»Das hängt von dir ab. Nur von dir.«
»Vielleicht etwas deutlicher?«
»Wenn sie dich angeworben haben«, Horns Kaumuskeln zitterten merklich, »dann wird Neplach sich dies zunutze machen. Er wird
dich als Doppelagenten anwerben. Das ist das Standardverfahren. Du wirst der Gegenseite Informationen liefern. Allerdings
falsche. Präparierte.«
»Wo ist der Haken dabei?«
»Es ist gefährlich. Doppelt gefährlich.«
»Hör mir genau zu«, sagte Horn, ein langes Schweigen beendend, »hör mir gut zu, Reinmar. Ich rate dir, nicht zu fliehen. Eine
Flucht ist ein Schuldbekenntnis. Und zieht ein Urteil nach sich. Neplach weiß, wie viele Geheimnisse du kennst, wie viele
unserer Pläne und Kriegsgeheimnisse. Du fändest keine Ruhe mehr. Selbst wenn du bis ans Ende der Welt fliehen würdest, du
wärst keinen Tag und keine Stunde in Sicherheit. Weder du noch die Menschen, die dir nahestehen. Du hättest aus Angst vor
dem Schicksal, das Fräulein Jutta erleiden könnte, einer Erpressung nicht standhalten können. Fräulein Jutta ist deine Schwachstelle,
die Stelle, an der man dich am empfindlichsten treffen kann. Täusch dich nicht, Neplach wird sich eine solche Gelegenheit
nicht entgehen lassen.«
Reynevan sagte nichts. Er schluckte nur und nickte. Horn schwieg ebenfalls.
»Ich habe an die Sache der Revolution geglaubt«, antwortete Reynevan schließlich. »Ich hatte den sehnlichen Wunsch, eine Mission
zu erfüllen, um für den apostolischen Glauben, meine Ideale, Gerechtigkeit für jedermann und eine schönere, bessere Zukunft
zu kämpfen. Ich habe ehrlich und aufrichtig daran geglaubt, dass wir die alte Ordnung verändern, dass wir die Welt mit ihren
erstarrten Grundfesten aufrütteln könnten. Ich habe für die Sache gekämpft, fest darauf vertrauend, dass unser Siegjeglicher Ungerechtigkeit und allem Bösen ein Ende setzen würde. Ich war bereit, für die Sache der Revolution mein Blut zu
vergießen, mich selbst zu opfern und wie einen Stein auf die Schanze zu werfen
. . .
Und ich habe mich weggeworfen, wie ein Irrer, wie ein Blinder, wie ein Narr. Wie hast du das genannt? Fanatismus? Zelotischen
Eifer? Das passt, das passt perfekt! Und was kommt nun? Der Zelot und Neophyt bekommt, was er verdient; seine törichte Verblendung
und seine blinde Leidenschaft bringen ihn so weit, dass es ihm an den Kragen geht und dass nicht nur er allein leiden muss,
sondern auch die, die ihm nahestehen, und seine Liebsten. Ha, ich hoffe nur, sie erzählen davon mal in den Chroniken. Zur
Lehre und Abschreckung für andere Neophyten und Idioten, die bereit
Weitere Kostenlose Bücher