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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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das?«
    »Jemand.«
    Reynevan legte den Kopf in den Nacken und betrachtetelange den Großen Bären, den immer wieder die am Himmel dahinziehenden Wolken verdeckten.
    »Ich verstehe«, sagte er schließlich. »Ich bin ein Verdächtiger. So einem vertraut man keine Geheimnisse an. Was macht es
     da schon aus, dass der Verdacht vage ist und erst noch zu beweisen wäre. Man vertraut so einem eben nichts mehr an.«
    »Man vertraut so einem eben nichts mehr an«, bestätigte Horn. »Geh schlafen, Reinmar. Du hast noch einen weiten Weg vor dir.
     Einen sehr weiten Weg.«
     
    Einen sehr weiten Weg, wiederholte er in Gedanken, während er durch die im Wind schwankenden Zweige zu den Sternen emporblickte.
     Das hat er gesagt. Hat er etwa gedacht, ich bemerke weder seinen Spott noch seine Zweideutigkeiten? Oder wollte er mir damit
     etwas sagen?
    Von hier bis Prag sind es, grob geschätzt, vierzig Meilen, vorsichtig gerechnet ist das eine Reise von zehn Tagen. Wirklich
     ein weiter Weg. Und er führt mich geradewegs in die Hände von Bohuchval Neplach, genannt Filou, dem Chef des Geheimdienstes
     von Tábor. Es wird nicht leicht sein, Filou zu überzeugen, ihn dazu zu bringen, mir zu glauben, auch dieser Weg wird weit
     sein. Schwer. Und schmerzhaft. Man weiß, was Filou mit Gefangenen macht, bevor er ihnen etwas glaubt. Und mit denen, denen
     er nichts glaubt.
    Soll ich alles gestehen? Von Juttas Entführung erzählen, von Bożyczko, von der Erpressung? Ha, vielleicht kann ich dadurch
     mein Leben retten. Wenn sie mir glauben. Aber ihr Vertrauen gewinne ich nicht wieder. Sie werden mich einsperren, lebendig
     in einen Turm schmeißen, auf irgendeiner abgelegenen Burg.
    Bevor ich da wieder herauskomme – wenn ich überhaupt je wieder herauskomme   –, ist Jutta weit weg, längst verheiratet oder in irgendeinem Kloster. Dann habe ich sie für immer verloren.
    Eine Flucht ist ein Eingeständnis meiner Schuld, dachte er. So wird sie aufgenommen werden: als klarer Beweis meines Verrats.
    Ach, und wenn schon. Soll doch alles zum Teufel gehen. Es gibt keinen anderen Ausweg.
    Das Feuer erlosch, die Lichtung war ins Dunkel getaucht. Das Lager. Die Männer, die mit den Köpfen auf den Sätteln schliefen,
     sich unter ihren Decken streckten, schnarchten, furzten und im Schlaf murmelten. Keiner hatte daran gedacht, eine Wache aufzustellen.
     Reynevan zog sich leise ins Dunkel zurück, in die Büsche. Vorsichtig und langsam, immer darauf achtend, auf keinen trockenen
     Zweig zu treten, schob er sich vorwärts, auf die angebundenen Pferde zu.
    Die Pferde schnaubten, als er näher kam. Reynevan blieb stehen, er stand lange da wie eine Statue. Zum Glück rauschte der
     Wald, und in diesem unaufhörlichen Rauschen gingen andere Geräusche unter. Er atmete erleichtert auf. Zu früh.
    Jemand stürzte sich auf ihn und warf ihn mit Schwung zu Boden. Er fiel hin; aber noch bevor er fiel, schaffte er es mit einer
     heftigen, alle Muskeln anspannenden Bewegung, den Sturz in einen Sprung zu verwandeln, was ihn vor einem unbarmherzigen Griff
     bewahrte. Und ihm das Leben rettete. Während er sich noch wand und herumrollte, hatte er aus den Augenwinkeln das Aufblitzen
     einer Klinge wahrgenommen. Er warf den Kopf zurück, das Messer, das ihm in die Kehle dringen sollte, blieb an seinem Ohr hängen
     und schlitzte es wohl zur Hälfte auf. Ohne auf den heftigen Schmerz zu achten, rutschte er über die aus dem Boden ragenden
     Wurzeln und versetzte dem sich eben aufrappelnden Angreifer einen heftigen Tritt. Der Angreifer fluchte, holte weit aus, um
     ihn am Bein zu treffen. Reynevan drehte sich blitzschnell um und versetzte ihm noch einen Tritt, der ihn wieder zu Boden schleuderte.
     Reynevan sprang auf. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kragen lief.
    Auch der Angreifer sprang auf. Und griff sofort wieder an,mit heftigen Stößen über Kreuz. Reynevan wusste jetzt, mit wem er es zu tun hatte. Der Geruch von Schweiß, Fieber und Krankheit
     hatte es ihm verraten.
    Der Kranke war also gar nicht so krank. Und er konnte mit dem Messer umgehen. Er hatte Übung darin. Aber auch Reynevan war
     darin geübt.
    Mit einer Finte täuschte er seinen Gegner und zwang ihn dazu, sich vorzubeugen. Er haute ihm mit dem linken Unterarm aufs
     Handgelenk, mit dem rechten auf den Ellenbogen, stellte ihm ein Bein, brachte ihn mit einem ruckartigen Ziehen am Ärmel zum
     Stolpern und schlug ihm, um das Maß voll zu machen, mit der Faust auf die Nase.
    Der Kranke heulte auf

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