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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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oder womit hatte demzufolge Grellenort ein Abkommen?«
    »Die Kirche hat sich in dieser Frage nicht festgelegt? Auch nicht der neue Papst?«
    Der Schweizer schüttelte den Kopf.
    »Noch während des Konzils wurde Jan Hus verbrannt«,sagte er, »und in Böhmen ist der Aufstand losgebrochen. Noch bevor das Konzil zu Ende war, ist Konrad von Oels Bischof geworden.
     Ein Bischof, der eifrig Revolten unterdrückte, der Häretiker, bevor sie verbrannt wurden, von Pferden über den Marktplatz
     von Breslau schleifen ließ. Der treueste Verbündete des Papstes und König Sigismunds, ihr Genosse in schweren Zeiten. Sollte
     man sich etwa mit ihm anlegen, nur aus dem banalen Grund, dass er sich der Magie bedient hatte? Ach, woher denn! Die Affäre
     wurde vertuscht und unter den Teppich gekehrt. Aus den Akten entfernt. Für null und nichtig erklärt. Wenigstens formell.«
    »Und informell?«
    »Man hat geheime Nachforschungen angestellt. Die Ergebnisse aber geheim gehalten. Wir kennen sie jedoch. Ab einem bestimmten
     Moment haben auch wir begonnen, uns für Grellenort zu interessieren.«
    »Als Grellenort auf Befehl des Bischofs von Breslau damit begonnen hat, mithilfe der schwarzen Magie die Katharer und Beginen
     zu verfolgen.«
    Hejncze entschloss sich, das Gespräch zu beschleunigen.
    »In Jauer und in Schweidnitz«, bestätigte ihm der Schweizer. Er sprach es »Jaua« und »Schwynytz« aus. »Wir haben damals nichts
     getan, wir sind tatenlos geblieben, denn
. . .
Denn man darf dem Terror nicht mit Terror begegnen. Pierre de Castelnau, Petrus von Verona, Konrad von Marburg, Schwenckefeld
. . .
Der Terrorismus ist das Böse und führt zu nichts. So haben wir gedacht, wir, die Guten Leute, die
amici Dei
. Terrorismus ist das Böse und eine Sünde.«
    Mit dem man am besten ein fremdes und nicht das eigene Gewissen belastet, dachte der Inquisitor. Deswegen und nur deswegen
     helft ihr mir. Nur deswegen liefert ihr mir Informationen. Weil ihr überzeugt seid, dass ich auf Rache aus bin. Dass ich einen
     Anschlag plane. Einen Akt des Terrors. Eines Terrors, vor dem ihr euch ekelt. Und wenn es dann geschehen ist, werdet ihr
» Deo gratias
« murmeln. Auf Knien. Die Augenzum Himmel erhoben. Frei von Sünden. Aber zufrieden. Zufriedengestellt.
    Der Schweizer schwieg und blickte zum dunklen Massiv des Pilatus hinüber, des Berges, der sich wie ein kauernder Riese über
     Luzern neigte. Der Inquisitor drängte ihn nicht.
    »Grellenort ist in Andalusien erzogen worden«, fuhr der Schweizer fort. »In Aguilar bei Córdoba.«
    »Die Alumbrados«, brummte Hejncze.
    »Die Erleuchteten«, bekräftigte der Schweizer. »Eine geheime Sekte, die mit ihren Wurzeln bis in die Abgründe der Vorgeschichte
     hinabreicht, älter als die Sintflut, wie einige meinen, ja, sogar älter als die Menschheit selbst. Anfangs nur muselmanisch,
     ist sie von Gerbert von Aurillac, Papst Silvester II., auch für Christen zugänglich gemacht worden. Viele ihrer Alumni waren
     berühmte Persönlichkeiten. Die Araber Halid -und al-Kindı-, die legendären Morienus und Artephius, Joachim von Fiore, Albertus
     Magnus, Walter Map, Johannes Duns Scotus, Wilhelm von Ockham, Michael von Cesena, Jacques Duèse, also Papst Johannes XXII.   Grellenort ist ebenfalls ein Zögling und Alumnus von Aguilar, das erklärt auch das Tempo seiner magischen Ausbildung. Aber
     das ist noch nicht alles.«
    Hejncze zog die Augenbrauen hoch.
    »Ihm hilft jemand«, behauptete der Schweizer mit großer Bestimmtheit. »Dieser Jemand unterstützt ihn mit magischen Kräften,
     stattet ihn mit Macht aus. Und zwar ständig. Wir konnten nur noch nicht dahinterkommen, wer das ist.«
     
    »Immer noch in Breslau?«, fragte der Mauerläufer. »Hast du nicht mal darüber nachgedacht, umzuziehen? Aufs Land beispielsweise?«
    »Ich mag Breslau.« Das braune Gesicht der Neuphra zerfloss in die Parodie eines Lächelns. »Es geht doch nichts über eine große
     Stadt. Wie heißt es doch so schön: Stadtluft macht frei
.
«
    »Auf dem Lande ist es aber sicherer.«
    »Ich fühle mich nicht bedroht. Hast du es mir mitgebracht?«
    Der Mauerläufer griff in seine Tasche und holte einen großen, viereckigen Flakon aus dunklem Glas hervor. Die knotigen, krallenartigen
     Finger der Neuphra zitterten, es schien, als wollte sie ihm den Flakon aus den Händen reißen. Sie beherrschte sich, schob
     ihren Kelch heran und blickte wie gebannt auf die lavendelfarbene Flüssigkeit, die langsam das Gefäß anfüllte.

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