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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Nur bei Dingen, die ihm wirklich wichtig
     waren.
    Die Sache hier war wichtig, Kundrie hatte keinen Zweifel daran. Als er ihr davon erzählte, ihr berichtete, klang seine Stimme
     ruhig und distanziert. Aber unwillkürlich knirschte er mit den Zähnen. Und ballte die Hände zu Fäusten zusammen. So heftig,
     dass die Knöchel weiß hervortraten.
    »Jaaa«, sagte sie bedächtig, als er fertig war, während sie sich die Lippen leckte. »Dieser Reynevan von Bielau ist dir unter
     die Haut gegangen, und wie. Er hat dich vor den Augen des Bischofs verspottet und lächerlich gemacht, hat dich gedemütigt
     und zur Flucht gezwungen. Und du hast recht, mein Söhnchen, du hast absolut recht: Bekommt ihn jetzt irgendein anderer zu
     fassen oder erschlägt ihn, dann kannst du diese Schmach nicht ungeschehen machen. Also musst du ihn ergreifen. Eigenhändig.
     Und es fertigkriegen, dass man sich nur noch an eines erinnert: an seinen qualvollen Tod. Lass ihm bei lebendigem Leib die
     Haut abziehen. Bis auf die Kopfhaut. Das ist immer eine Sensation, ja, immer. Die abgezogene Hautgerbst du dann und stellst sie öffentlich aus. Auf dem Marktplatz.«
    Sie schwieg und kratzte sich ihre mit Schwären bedeckte Wange. Sie sah, wie er vor Ungeduld und Wut die Fäuste ballte. Sie
     lächelte. Mit der routinierten Boshaftigkeit einer Lehrerin, die einen arroganten Schüler zurechtweist, der sich einbildet,
     er benötige keine Belehrungen mehr und käme ohne sie zurecht.
    »Na ja«, meinte sie dann lächelnd, »na ja. Das habe ich ganz vergessen. Vorher muss man diesen Reynevan erst einmal einfangen.
     Aber damit tust du dich schwer, wie? Trotz der großen Mühe, die du dir gibst. Trotz der Nekromantie, die du in den Gewölben
     von St. Matthias betreibst. Aber ich habe dich erzogen und dir immer wieder gesagt: Man muss mit dem Denken anfangen, mit
     der Logik. Zur Nekromantie greift man erst dann, wenn die Logik nichts bringt.«
    »Kundrie«, knurrte der Mauerläufer, »ich weiß, dass du einsam bist. Dass du niemanden zum Reden hast und jede Gelegenheit,
     die sich dir dazu bietet, ergreifst. Aber lass dies besser sein. Ich bin nicht hergekommen, um deinen Schwanengesang zu hören.«
    Kundrie stellte ihre Rückenstacheln auf, bezwang jedoch ihren Zorn. Schließlich und endlich war diese Rotznase ihr eigener
     Zögling. Ihr Söhnchen. Ihr Augenlicht.
    »Du bist also hergekommen oder eher hergerannt, um mich um Hilfe zu bitten«, sagte sie ruhig. »Also dann, bitte darum. Höflich.«
    »Ich bitte dich sehr höflich.« In den Vogelaugen des Mauerläufers flackerten Lichter. »Sehr, sehr höflich. Bist du nun zufrieden?«
    »Sehr, sehr.« Die Neuphra trank wieder gierig aus dem Kelch. »Also, zur Sache. Fangen wir damit an, logisch zu denken. Uns
     Fragen zu stellen. Reynevan von Bielau war, wie aus deinen Berichten hervorgeht, zweimal in Breslau, im Januar und im Februar.
     Zweimal ist er also in die Höhle des Löwengekommen. Er ist weder ein Irrer noch ein Selbstmörder. Warum hat er das Risiko auf sich genommen? Was hat er in Breslau gesucht,
     das ein derartiges Risiko rechtfertigt?«
    »Er hat Hilfe gesucht. Bei Kanonikus Otto Beess, seinem Gevatter.«
    »Hilfe wobei? In der Stadt heißt es, Johann von Münsterberg habe Reynevans Geliebte, eine
conversa
der Klarissen, gefangen genommen. Angeblich hat er sie vergewaltigt und dann ermorden lassen, dies sei der Grund, weshalb
     der verrückt gewordene und von Rachegedanken besessene Reynevan den Herzog bei Altwilmsdorf getötet hat. Will man dies glauben,
     dann hat er das Mädchen gerächt und seinen Rachedurst gestillt. An der Seite der auf Kriegszügen befindlichen Hussiten hätte
     er ihn weit besser stillen können. Aber er streift allein in Schlesien umher. Warum?«
    »Weil er glaubt, dass das Mädchen noch lebt, dass es gefangen gehalten wird, und weil er es sucht.« Der Mauerläufer zuckte
     mit den Achseln. »Er irrt sich. Ich habe auch nach ihr gesucht, ich wollte sie haben. Nein, nicht nur als Köder für Bielau.
     Ich wollte sie zu einem Geständnis zwingen, um die Ketzerei der Klarissen von Weißkirchen beweisen zu können. Der Bischof
     und Hejncze wollten jedoch keinen Skandal, sie haben als Buße die Nonnen weggeschickt. Ich aber wollte sie alle auf den Scheiterhaufen
     schicken; ich hätte es geschafft, wenn ich das Geständnis von Apoldas Tochter gehabt hätte. Leider ist nichts daraus geworden.
     Ich habe sie nicht gefunden. Weder in Münsterberg noch auf den Burgen in

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