Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
vorgelesen hat, war dir peinlich. Und es war dir auch peinlich, dass er diese komische CD in deinem Koffer gefunden hat und den Damenrasierer und den anderen Weiberkram. Hör doch endlich mal auf, eine Rolle zu spielen!«
»Weißt du was, Serdan? Du kannst mich am … Oh, guck mal, da sind wir! Mach lauter!«
Der Wagen setzte sich in Bewegung, doch wir achteten nicht darauf. Auch unseren Streit hatten wir vergessen. Unsere Fotos wurden im Fernsehen gezeigt, mein Schulausweisbild und eine Porträtaufnahme von Serdan, auf der er ernst und erwachsen in die Kamera blickte. Seine fremde Herkunft war nicht zu übersehen. Vor allem nicht im Kontrast zu meiner weißen Haut und den roten Haaren.
Gebannt verfolgte ich die Worte der französischen Nachrichtensprecherin. Nun wurde eine Karte von Frankreich eingeblendet und ein Fähnchen in die Vogesen gesetzt. Von dort aus begann sich eine rote Linie in den Südwesten des Landes zu ziehen, wo ein weiteres Fähnchen gesetzt wurde, direkt an die Atlantikküste. An die Atlantikküste?
Fieberhaft übersetzte ich, was die Sprecherin sagte. »Die beiden verschwundenen deutschen Jugendlichen, die im Elsass mit großem Polizeiaufgebot gesucht wurden, sind wohlauf und wurden nicht wie zwischenzeitlich vermutet Opfer eines Gewaltverbrechens. Vor wenigen Minuten hat sich der Junge telefonisch bei seinen Eltern in Deutschland gemeldet und gestanden, dass er mit dem Mädchen auf dem Weg an die Atlantikküste sei, um dort andere Jugendliche im Szenebadeort Cap Ferret zu treffen. Jedes Jahr reisen Hunderte deutsche Jugendliche nach Cap Ferret, um wilde Partys zu feiern und …«
Ich riss Serdan die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Fernseher aus. »Cap Ferret? Du hast ihnen gesagt, wir sind in Cap Ferret?«
Serdan zuckte mit den Schultern. »Hm«, machte er wortkarg. »Falsche Fährte.«
Ich wollte ihn schon vor lauter Dankbarkeit für diesen genialen Einfall umarmen, als ich kapierte, was sich hier eigentlich gerade abspielte. Ich ließ meine Hände fallen.
»Ging ja schnell«, stichelte ich. Und wie schnell! Eben noch hatte er alles gestehen und nach Hause eilen wollen und jetzt lockte er unsere Eltern und die Polizei in die entgegengesetzte Richtung an den Atlantik, während wir den Weg zum Mittelmeer eingeschlagen hatten. Dahinter konnten nur Suni und ihre Mandelaugen stecken. Serdan errötete unter seiner dunklen Haut und schaute weiter stur auf den Fernseher, als würde dort ein mitreißender Actionfilm laufen, von dem er keine einzige Sekunde verpassen durfte.
»So ein Quatsch, Luzie. Ich wollte nur … Ach, ist doch auch egal.«
»Nein, ist es nicht«, widersprach ich heftiger als beabsichtigt. Nun schoss auch mir das Blut ins Gesicht. »Es wäre schön gewesen, wenn du es für mich getan hättest und mir endlich glauben würdest!«
»Doch, es ist egal, weil es eh nicht funktionieren wird. Deine Lügen werden auffliegen und dann können wir zusehen, wie wir weiterkommen. Jemandem helfen, der in Not ist … So ein Scheiß. Ruh dich also besser noch ein bisschen aus, bevor du deinen nächsten Sonnenstich bekommst.«
»Ja, das werde ich auch tun, denn deine Stinklaune kann niemand auf Dauer ertragen!« Nicht einmal Leander hat so miese Laune, dachte ich zornig, was ich nicht sagen konnte.
Ich kehrte Serdan den Rücken zu, warf mich auf das Bett zwischen die vielen Kissen und schloss erschöpft die Augen, um neue Energien zu sammeln. Doch meine Gedanken fuhren Karussell. Wie konnte ich Serdan nur deutlich machen, dass ich nicht log und meine Geschichte stimmte, ohne dabei von Leander zu erzählen? Und würde es etwas daran ändern, dass er unsere Eltern nur Suni zuliebe in die Irre geführt hatte? Reichten lange Haare und schöne Augen für ihn aus, um seine Meinung von Knall auf Fall zu ändern? Würde er mir mehr glauben, wenn ich ebenfalls lange Haare hätte?
»Tut mir leid, Katz«, drängte sich Serdans Stimme durch meinen rotierenden Gedankenwust. Ich hielt die Luft an. Träumte ich schon oder hatte er das tatsächlich gesagt? »Aber es ist wirklich egal, was der Grund ist, denn du willst mich ja sowieso nicht.«
Ich presste mein erhitztes Gesicht in eines der Kissen, unfähig, weiter zu denken oder gar zu antworten. Denn mit einem polternden Schlag meines Herzens hatte ich festgestellt, dass ich mir gar nicht mehr sicher war, dass ich Serdan nicht wollte – oder vielleicht doch.
Die schwarze Sara
»Hey, Luzie, wach auf. Es ist so weit.« Ich wunderte mich
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