Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
doch eine der Ziegen war uns meckernd gefolgt und fand meinen Rock zum Anbeißen. Während ich nach dem Ast über mir hangelte und verzweifelt versuchte, den übrig gebliebenen Schwung zu nutzen, stemmte das Zicklein seine Hufe in den Boden und verbiss sich in den dünnen Stoff. Schließlich gab der Rock nach. Er riss in der Mitte entzwei und ich hatte endlich wieder genug Platz für meine Beine, um mich auszutarieren.
Doch das allein würde nicht genügen. Ich musste umplanen. Mit einem Rückwärtssalto ließ ich mich zurück auf die Erde schnellen, rannte einen Bogen, fummelte dabei den Rest des Rocks von meinen Hüften, warf ihn hinter mich, um die idiotischen Ziegen abzulenken, und nahm ein zweites Mal Anlauf. Serdan hing bereits wie ein Affe im Geäst und sah verwirrt auf mich runter.
»Mein Rock«, erklärte ich knapp. »Weiterklettern.«
Er zuckte mit den Schultern und legte seinen Kopf in den Nacken, um den nächstpassenden Ast zu suchen.
»Links«, dirigierte ich ihn, doch er hatte bereits zugepackt und war der Veranda ein weiteres Stück entgegengerückt. Es fuchste mich, dass ich nicht die Erste war und in einer von Sunis cremefarbenen Unterhosen an der Mauer von Johnny Depps Weingut hing, doch das Geschrei der Ziegen und Serdans unterdrückte Flüche ließen mir keine Gelegenheit, mich zu beklagen. Wir mussten zusehen, dass wir auf die Veranda gelangten, bevor die Ziegen das ganze Haus zusammenbrüllten. Ich spürte mit jedem Meter, dass ich schlecht in Form war. Eigentlich hätte ich das einkalkulieren müssen. In den vergangenen sieben Tagen hatte ich kaum gegessen, getrunken und geschlafen – nicht eingerechnet mein Sonnenbrand, Sonnenstich und andere Blessuren. All das hatte mich Kraft gekostet.
Keuchend wälzten Serdan und ich uns über die steinerne Brüstung und ließen uns ausgepumpt auf den Boden der Veranda fallen. Ich hätte vor Triumph aufschreien können, als ein weißer Vorhangschal mein Gesicht streifte, denn das konnte er nur tun, wenn die Türen offen standen, aber zum Jubeln fehlte mir ebenfalls die Kraft.
Außerdem konnte es nur noch Minuten dauern, bis wir entdeckt wurden. Vielleicht auch nur Sekunden.
»Was jetzt?«, flüsterte Serdan. Er hörte sich ängstlich an, fast so, als bereue er, dass wir hier waren. »Was sollen wir denn jetzt tun, hm? Was sollen wir denen sagen, wenn sie uns erwischen? Irgendein Vorschlag, Katz?«
»Verlier nicht die Nerven, okay?«, wies ich ihn zurecht. »Und sei bitte ruhig, damit ich was hören kann.«
Was ich hören wollte, konnte ich ihm nicht sagen. Ich wusste auch gar nicht, ob es funktionierte. Aber manchmal war Leander von einem sehr feinen Klirren und Summen umgeben, das ich meistens dann wahrgenommen hatte, wenn er lange ohne Körper gewesen war – also abwesend von mir. Doch alles, was in meine Ohren drang, war das Meckern der Ziegen, Vogelgezwitscher, ein fernes Motorengeräusch und leise, verträumte Musik, die aus dem Wohnzimmer zu uns hinaus in die Morgensonne perlte. Die Klänge erinnerten mich an die Chansons, die Leander manchmal sang oder auf YouTube anklickte. Ob er sie hier das erste Mal gehört hatte – bei Johnny Depp? Oh, verdammt, waren wir überhaupt bei Johnny?
»Hier ist nichts«, stellte ich nach einigen Sekunden verdrossen fest. »Los, lass uns reingehen und nach ihm suchen.«
»Nach ihm?!« Serdans Stimme überschlug sich vor Nervosität. Ich sparte mir eine Antwort. Er würde mir schon folgen, anstatt wie ein gestrandeter Wal auf der Veranda liegen zu bleiben.
Ich hob den Vorhang an, nahm ihn zur Seite, richtete mich auf und setzte meine Sohlen vorsichtig auf den kühlen Boden des großen Salons, der sich vor uns erstreckte. Ich wusste sofort, dass wir nicht allein waren, doch außer uns befand sich nur ein einziger Mensch in diesem Zimmer – ein Mädchen mit langen blonden Haaren, gewölbter Puppenstirn und Johnnys dunklen Augen. Lily-Rose. Johnny Depps Tochter. Ich erkannte sie in der ersten Sekunde, in der sie ihren Kopf hob und mich ansah, und mir war, als würde mein Herz in zwei Teile geschnitten, die nie wieder zusammenwachsen würden. Lily-Rose war genau das Mädchen, das Leander sein Leben lang suchte, von dem er immerzu redete, mit dem er mich bei jeder Gelegenheit verglich. Sie war perfekt zum Beschützen, denn sie sprang nicht kurzhaarig und in Jungsklamotten von Dach zu Dach, sondern saß auf einem weichen Teppich und malte mit Aquarellstiften, während im Hintergrund dezent Chansons liefen und
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