Luzifers Geliebte (Geschichtentrilogie Band 2 Fantastische Geschichten)
Haus auf Sadiks Plantage.
Sanders erinnerte sich an den Zettel, auf den Elisabeth ihre Anschrift geschrieben hatte. Ach, ja, Teheran. Hastig kramte er seinen Reisepass aus der Tasche. Den Zettel fand er nicht. Doch die Adresse wusste er plötzlich auswendig. So beschloss er, gleich am nächsten Tag das Haus mit der Nummer 36 aufzusuchen. Schon um sechs Uhr fuhr er los. Nach einigem Suchen fand er endlich die Straße am anderen Ende der Stadt. Doch ein Haus mit der Nummer 36 gab es nicht. Nur eine Ruine war da. So fragte er einen Passanten, ob er wüsste, wo das Gasthaus geblieben sei. Er hatte Glück. Der Mann sagte, dass das Eckhaus, das von zwei Seiten erreichbar sei, im Krieg durch Bomben zerstört worden sein soll.
"Es war ein beliebtes Gasthaus", plauderte er. "Es hat einer Familie Röhrig gehört. Ach, was sage ich. Es gehört noch immer der Familie. Die alte Frau Röhrig lebt ja noch. Hm, eine sehr eigenartige Frau.“
„Eigenartig?“
„Ja, eigenartig.“ Der Mann nickte mehrmals mit dem Kopf, bevor er weiter sprach. „Trotz ihren hohen Alters will sie weder das Haus noch das Grundstück verkaufen. Und schon gar nicht will sie in ein Altenheim ziehen. Ja, ja, sie ist ja trotz ihrer vierundneunzig Jahre noch beneidenswert rege und gesund. Bestimmt bleibt sie bis zu ihrem Lebensende in dem Haus."
Sanders erfuhr, dass die drei Räume unter der Ruine noch bewohnbar seien. Nach dem Krieg habe die alte Frau Röhrig eigenhändig ihre Habseligkeiten ausgegraben und alles, was sie an Mobiliar vorgefunden hatte, repariert und damit die Wohnung eingerichtet.
"Und nie kam ein neues Stück dazu", beendete der Mann seine Erzählung. "Auf dem Dach der Ruine wächst Gras. Der Wind und die Vögel haben es dahin gebracht. Und in der Ecke zur Spitze blüht ein Fliederstrauch. Sie können es nicht verfehlen."
Wehmütig ging Sanders an der verfallenen Hausfront entlang. Als er zum wiederholten Male um die Ecke bog, sah er, wie jemand in den Hof hinein ging. Verwundert meinte er, einen Zipfel des altmodischen Kleides gesehen zu haben, das Elisabeth immer trug. Doch als er den Hof betrat, war niemand zu sehen. So beschloss er, die alte Frau Röhrig aufzusuchen.
"Sanders", stellte er sich am nächsten Tag höflich vor. "Ich möchte über die Geschichte des Hauses schreiben und würde gerne einiges von Ihnen darüber erfahren."
Er bat die alte Frau Röhrig um die Erlaubnis, sich in der Wohnung umsehen zu dürfen.
Der Mann hatte nicht übertrieben. Alle Zimmer waren voll gestopft mit Möbeln, denen man ihr Alter ansah. Manche waren notdürftig aufgearbeitet. Doch die Spuren der Vergangenheit waren nicht zu übersehen.
In dem größten Zimmer fesselte seine Aufmerksamkeit eine alte Kommode. Sie war überladen mit aus edlem Holz geschnitzten Säbeltänzern. Es waren die gleichen, die er in Teheran gesehen hatte.
"Die Gegenstücke, Bilder, Nippes und andere Erinnerungen, sind in einem Teheraner Basar", sagte die alte Frau Röhrig, als hätte sie Sanders Gedanken erraten.
"Wer ist denn das?" Sanders starrte erregt auf das Bild an der Wand über der Kommode.
Das konnte nur Elisabeth sein. So hatte er sie kennen gelernt. In diesem großblumigen Kleid. Übersät mit giftgrünen Blättern.
"Sie hat es beim Bombenangriff getragen."
Frau Röhrig blickte Sanders aus tief in den Höhlen liegenden, alten, wässrig blauen Augen an. "Und als man sie aus den Trümmern zog", sprach sie leise weiter, "wurde sie auch damit beerdigt."
"Und da hängt ja auch der Mann mir der Narbe." Sanders betrachtete das Bild übergenau. "In Soldatenuniform", wunderte er sich.
"Ja. Gleich am ersten Tage des Krieges ist er in Polen gefallen. Die Narbe hat er sich schon als Knabe geholt. Bei einem Fahrradunfall. Elisabeth und er waren ein schönes Paar. Sie wollten heiraten, sobald der Krieg zu Ende wäre."
"Ist Elisabeth viel gereist?", fragte Sanders gerührt.
"Nein. Überhaupt nicht Das Mädel war nie fort, und so gerne hätte sie sich die Welt angesehen. Sie sagte immer, sie würde nach dem Siege die ganze Welt bereisen."
"Nach dem was?"
"Nach dem Siege. Damals hieß das so, wenn der Krieg zu Ende sein würde."
Elisabeth wurde nur zwanzig Jahre alt. In jener Nacht, als die Bomben das Haus in Schutt und Asche legten, war sie zu müde, um in den Luftschutzkeller zu flüchten. So wurde sie unter den Trümmern des einstürzenden Hauses begraben.
Und der Wind hatte ihre Lieblingsblume an ihr Grab geweht. Einen Fliederbusch. -
5.
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