Lycana
Áine das Zeichen auf der Schwelle gesehen?« Widerstrebend nickte er. »Dann wundert es mich nicht, dass es ihre Neugier geweckt hat. Sie ist - nun sagen wir - außergewöhnlich für ihre Spezies.«
»Das ist sie!«, knurrte Peregrine, so als müsse er ihre Ehre verteidigen. Die Druidin ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. »Sie nimmt noch immer viel Anteil am Geschick der Menschen dieses Landes. Und dieses Zeichen dort kennt sie aus der Zeit, da ihr Name noch Anne Devlin war.«
»Dann sollte ich sie von hier fernhalten!«
Die Druidin betrachtete ihn mit einem milden Lächeln. »Aber ja, das solltest du, wenn es in deiner Macht steht.«
Peregrine knurrte, doch dann teilte ein Lächeln seine Lippen. »Du siehst viel, Druidin Tara.« Und mit diesen Worten trat er zurück in die Büsche. Einige Augenblicke später jagte ein großer grauer Wolf zurück in die Berge.
»Wenn ihr mehr aus eurem Geist und Körper herausholen wollt, dann müsst ihr ihn zuerst einmal von allem Schädlichen und Überflüssigen reinigen«, sagte der Lycana, der sie heute Nacht bei ihren Studien begleiten würde. Zu ihrer Überraschung blieb Catriona in der Burg zurück. Ainmire war der Name des Reinen, und wie die eines Great Lord waren auch seine Haltung und die Miene, mit der er die jungen Vampire betrachtete. An seine Seite traten Ciarán und Berghetta. Der Vampir war - obwohl er ein wenig einfältig aussah - ein Meister der Verwandlung, wie Ivy den anderen flüsternd mitteilte. Berghetta war dagegen eine beeindruckende Erscheinung.
»Reinigt euren Geist und euren Körper!«, wiederholte Ainmire.
»Und wie macht man das?«, wollte Luciano wissen, bereute aber sogleich seine Frage, als der Lycana seine Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Ainmire war groß und hatte die Statur eines Kämpfers. Sein dunkles Haar flatterte im Wind. Mit ebenso dunklen Augen sah er Luciano nun an, dass es diesen schauderte.
»Wir wollen die Natur und ihre Kreaturen beherrschen, also müssen wir zuerst unseren Geist der Natur öffnen, indem wir ihn und unseren Körper den Elementen aussetzen. Wir werden zunächst an der Küste entlanglaufen. Versucht, es den Nachtvögeln gleichzutun. Fühlt den Wind und lasst ihn euren Geist auf seinen Schwingen tragen. Er wird euch schneller machen, leichtfüßiger, wie das Wild in den Bergen.«
»Wie lange werden wir laufen?«, fragte Luciano beunruhigt. Sein Leib bebte bereits jetzt vor Bluthunger.
»Nur ein paar Stunden«, sagte Ainmire leichthin. »Ihr wollt in dieser Nacht ja noch viel lernen.«
Luciano ächzte, setzte sich aber tapfer in Bewegung, als Ainmire sie auffordete, ihm zu folgen. Die Worte waren noch nicht verweht, da hatten er und seine beiden Begleiter die Zugbrücke bereits hinter sich gelassen, und als Luciano die Holzbohlen betrat, liefen sie bereits auf das äußere Tor zu. Es war nicht möglich, auch nur annähernd mit ihnen Schritt zu halten. Außerhalb der Burg warteten sie auf die jungen Erben und drosselten ihr Tempo dann ein wenig. Dennoch war Luciano in seinem vierzehnjährigen Dasein noch nie so gerannt. Nun ja, vielleicht damals bei ihrem Wettstreit mit Franz Leopold und seinen Dracas, aber sonst?
Luciano dachte nicht weiter darüber nach. Er dachte an gar nichts mehr. Er brauchte alle Kraft, um nicht zurückzufallen, und doch bildete er mit Ireen, Raymond, Marie Luise und Karl Philipp, der sich vermutlich nur nicht anstrengen wollte, den Schluss. Nur sein Vetter Maurizio war noch langsamer, während Alisa und Franz Leopold direkt hinter den Lycana waren.
Und wo war Ivy? Luciano erlaubte es sich, den Blick schweifen zu lassen, und fiel prompt einige Schrittlängen zurück. Da tauchte sie mit Seymour an seiner Seite auf und schenkte ihm ein warmes Lächeln.
»Das erinnert mich an unseren Wettlauf zur Engelsburg. Das war ein Abenteuer!« Sie tänzelte neben ihm her, als würde der Wind sie tragen. Ihre Füße schienen den Boden kaum zu berühren. »Ja, wir hatten eine schöne Zeit bei deiner Familie in Rom.«
Luciano rang sich ein Lächeln ab und versuchte, schneller zu laufen. »Ja, das war gut. Da mussten wir nicht solche Strecken rennen, sondern durften in der Domus Aurea oder den Kirchen und Katakomben unsere Übungen machen.«
Ivy hob erstaunt die Augenbrauen. »Genießt du diesen Lauf denn gar nicht? Nur der weite Himmel über uns. Schau über das friedliche Land und das Meer, das sich vom Fuß der Klippe ausbreitet, bis es sich in der Ferne verliert. Der Nachtwind
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