Lycana
verlief ähnlich wie in der Nacht zuvor, nur dass es sich dieses Mal nicht um Schafe handelte. Ainmire gab noch ein paar Hinweise, wie sie Tiere aufspüren und sich deren Geist untertan machen konnten, dann überließ er es ihnen selbst, die Objekte ihrer Forschung zu wählen und zu sich zu rufen.
Mervyn war innerhalb weniger Augenblicke von einer ganzen Wolke Fledermäuse umschwärmt.
»Angeber!«, knurrte Luciano.
»An was wirst du dich versuchen?«, fragte Alisa.
Luciano hob die Schultern. »Keine Ahnung. Ich kann überhaupt kein Tier entdecken - außer Seymour natürlich. Ainmire hat sich geirrt oder sie haben sich inzwischen alle davongemacht.«
Ivy widersprach ihm. »Sie sind da, auch wenn du sie nicht sehen kannst. Die Seevögel, die in ihren Nestern oder in den Felsnischen ruhen, die Greife dort oben auf der Klippe, die Kaninchen und Mäuse in ihren Löchern im Grashang am Fuß der Felsen, Marder und Fuchs - und nicht zuletzt die unzähligen Tiere im Wasser.«
»Oh ja, die Tiere im Wasser, das ist wirklich ein hervorragender Einfall«, spottete Franz Leopold. »Das möchte ich sehen, wie du einen Fisch oder eine Qualle an Land lockst!«
Alisa wollte ihn schon anfahren, doch Ivy hob den Arm. »Ich würde sie nicht an Land locken. Es ist nicht ihr Element und ich möchte ihnen keinen Schaden zufügen. Aber rufen kann ich sie.« Sie stieg die Basaltsäulen hinab, bis zu einer Stufe, an der die Wellen zu Gischt zerstoben, und streckte die Hand aus. Plötzlich sprang ein Fisch aus den Fluten über Ivys Arm und fiel dann wieder ins Wasser. Drei weitere folgten ihm. Ivy kehrte zu den anderen zurück, die sie sprachlos anstarrten.
»Vielleicht wäre der Marder, der dort hinter dem Busch herumschleicht, eine Herausforderung für dich?«, schlug sie Franz Leopold vor. Alisa entschied sich für ein Kaninchen und stapfte zu den Grasmatten, die den Schuttkegel am Fuß der Klippen überzogen.
»Und du, Luciano, welches Tier wirst du auswählen?«
Der Nosferas kaute an seiner Lippe, dann lächelte er schlau. »Seymour, hierher, komm hierher zu mir.« Der Wolf betrachtete ihn aufmerksam, dann sah er zu Ivy hoch. Als diese nickte, trottete er zu Luciano. Der strahlte.
»Siehst du, ich habe meine Aufgabe bereits erledigt. Ich habe einen Wolf zu mir gerufen.«
Ivy lachte. »Ich glaube nicht, dass Ainmire das durchgehen lassen wird.«
»Nein, das glaube ich auch nicht«, erklang die tiefe Stimme des Lycana. »Da wirst du dir schon etwas anderes einfallen lassen müssen. Wer seine Aufgabe zufriedenstellend gemeistert hat, kann nach Dunluce Castle zurückkehren. Mit allen anderen werde ich bis zum Morgengrauen üben.« Dann wandte er sich Ivy zu.
»Nun, Ivy-Máire. Beeindrucke mich!«
Ivy flüsterte vor sich hin und winkte mit den Fingern. Es begann zu rascheln. Überall krochen kleine graubraune Fellbündel aus Spalten und Löchern. Aufgeregt piepsend eilten die Mäuse auf Ivy zu.
»Es wird gleich Unruhe unter ihnen geben«, bemerkte Ainmire leicht gelangweilt.
»Ich weiß!«, gab Ivy zurück. »Ich habe den Uhu bemerkt.« Sie deutete in die Richtung eines Felsvorsprungs, von dem sich nun ein Schatten löste. Lautlos kam der große Vogel angeflogen, glitt kaum einen Schritt über den Boden hinweg. Die Mäuse bemerkten ihn nicht oder standen so unter dem Bann von Ivys Ruf, dass sie weiter auf sie zueilten.
»Das gibt ein Gemetzel«, sagte Luciano, der das Schauspiel fasziniert beobachtete. Ivy stieß ein paar kurze Laute aus, und der Uhu schwebte über die Mäuse hinweg, ohne Notiz von ihnen zu nehmen, und landete dann auf Ivys Arm. Er gab leise Töne von sich und rieb seinen Kopf an ihrer Schulter, während die Mäuse nun wie ein Wasserstrudel um Ivys Füße wogten.
»Du hast die Eule entgegen ihres Jagdtriebs zu dir gerufen, während sie ihre Beute bereits im Visier hatte, und die Mäuse an der Flucht gehindert.« Ainmire nickte. »Ja, ich bin beeindruckt. Du kannst sie wieder entlassen.«
Er ging weiter, um zu sehen, was seine anderen Schützlinge machten. Joanne und Fernand hatten zwei Ratten gerufen. Tammo mühte sich mit einem Sturmvogel ab, der aber nicht so recht aus seinem Nest herabkommen wollte. Chiara hatte ein Wiesel gefunden, Ireen kniete vor einem Dachsbau, und Malcolm versuchte, sich vor dem Angriff einiger wütender Möwen zu schützen, die er aus dem Schlaf geschreckt hatte.
Ainmire ging auf Alisa zu, der es endlich gelungen war, ein junges Kaninchen aus seinem Bau zu locken. Sie lächelte
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