Lycana
würde Áthair Faolchu aufsuchen und mit ihm sprechen. Sie musste wissen, wie die Stimmung sich entwickelte. Auf keinen Fall durfte die alte Feindschaft zwischen Werwölfen und Vampiren wieder ausbrechen, die beide Seiten vor zweihundert Jahren an den Rand der Vernichtung geführt hatte. Nun, da sie ihren Hass dem Frieden geopfert hatten, durfte diese Affäre nicht alles wieder zerstören. Tara ging ein Stück des Weges zurück, schnitt mit ihrer Sichel einen Stechpalmzweig und brachte ihn dahin zurück, wo Peregrines getrocknetes Blut noch immer von seinem Leiden und Sterben sprach. Sie legte den Zweig auf den Boden. Die Stechpalme war für die Kelten das Symbol des ewigen Lebens, für Tod und Wiedergeburt. Seine immergrüne, wehrhafte Gestalt stand für die zähe Widerstandskraft eines Kriegers, für seinen Willen zum Überleben, aber auch für das tapfere Dahinscheiden, wenn er seinem Ende gegenübertrat. Welch passenderes Symbol hätte sie in Peregrines Gedenken hier niederlegen können?
DER BURREN
Áthair Faolchu sah die Druidin mit unbeweglicher Miene an. Sie unterdrückte den Impuls, ihr Anliegen zu wiederholen. Er hatte sie sehr wohl verstanden, doch vielleicht wusste er noch nicht, wie er sich entscheiden sollte, oder verfolgte eine Taktik. So blieb sie einfach mit geradem Rücken stehen und erwiderte seinen Blick. Welch schöne und kluge Augen er hatte. Sie empfand Respekt vor seiner Erfahrung und hoffte, dass die Weisheit des Alters seine Entscheidung leiten würde und nicht die zornige Wildheit, die in jedem Werwolf steckte.
»Tamara Clíodhna, mir ist bewusst, dass du dich um die deinen sorgst«, sagte er schließlich, als die spannungsgeladene Stille bald eine Ewigkeit währte. »Es ist der Instinkt einer Mutter, die ihre Jungen schützt und sie mit Klauen und Zähnen verteidigt, selbst wenn es sie das Leben kosten sollte. Daher kann ich dein Ansinnen gut verstehen.«
Tara unterdrückte eine unwillige Entgegnung und lächelte ihn stattdessen an. Sie hob die Hände. Schmal waren sie, von Sonne und Kräutern, die sie sammelte, dunkel gefärbt. Ihre Nägel waren ebenfalls dunkel, jedoch sorgfältig gekürzt. »Siehst du, keine Klauen, und ich versichere dir, ich werde auch nicht mit meinen mir verbliebenen Zähnen kämpfen und womöglich riskieren, in Zukunft nur noch Mus essen zu können.«
Der Schatten eines Lächelns huschte über die verdorrten Züge. »Es ist ein legitimer Versuch, dem Gespräch seine Schwere zu nehmen, doch die Tatsachen bleiben. Ich vertrete die Interessen meiner Sippe, und ich muss tun, was für sie am besten ist. Ich würde meiner Stellung als ihr Vater nicht gerecht, wenn ich diesen Vorfall ignorierte und keine Konsequenzen daraus zöge.«
Sie standen unter einem bleichen Mond unweit des Höhleneingangs und ließen ihre Blicke über das nächtliche Moor zu ihren Füßen wandern. Ab und zu drang der Ruf eines Nachtvogels zu ihnen. Der Wind rieb sich mit einem tiefen, klingenden Ton an den Felskanten. Dann erklang das helle Jaulen eines Wolfes in der Ferne. Zwei tiefere Stimmen antworteten von der anderen Seite her.
»Hör die Lieder meiner Kinder des Mondes«, sagte Áthair Faolchu. »Sie sind frei und genießen die Aufregung der nächtlichen Jagd. Ich muss alles tun, dass ihnen diese Freiheit erhalten bleibt.«
»Das wird dir nicht gelingen, wenn du die Bande zerstörst, die mit viel Mühe geknüpft wurden«, warf Tara ein, obwohl sie spürte, dass sie ihn mit ihren Worten nicht berühren konnte. »Wir haben einen Vertrag geschlossen!«
»Wir waren es nicht, die ihn brachen! Diese Bande, wie du sie nennst, haben uns keine Vorteile gebracht. Wir waren bereit zu teilen und müssen nun dafür bezahlen. Es wird Zeit, dass wir einen anderen Weg einschlagen. Wenn wir die Kraft unseres Landes für uns behalten, dann wird sie uns stärken, während unsere Gegner ihre Kräfte nach und nach einbüßen.«
»Die Lycana sind nicht eure Gegner!«
»Tamara Clíodhna, sie sind es heute und sie sind es immer gewesen. Wir haben lange genug die Augen verschlossen und die Anzeichen ignoriert. Mit List haben sie einen der unseren zu sich gelockt und ihn vernichtet. Wir werden ihn rächen!«
»Es waren nicht die Lycana, die ihn getötet haben!«, widersprach die Druidin.
»Kannst du dir da sicher sein? Hast du es mit eigenen Augen gesehen?«
Tara schüttelte den Kopf. »Nein, doch wenn du mich den Leichnam ansehen lässt, dann kann ich seine Verletzungen lesen und dir vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher