Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
ihn brauchte und wie viel Nähe sie ertragen konnte. Doch sie wusste, dass es unfair ihm gegenüber war.
Sie schlug die Laken zurück und stieg aus dem Bett. Die Digitaluhr zeigte 06.50 Uhr an. Lydia streckte sich und beugte sich hinunter, bis ihr Oberkörper ihre festen, schlanken Oberschenkel berührte. Mit jeder Bewegung und jedem Atemzug tankte sie neue Energie.
Sie schaltete das Licht ein und betrachtete sich nackt im Spiegel. Anders als die meisten Frauen liebte Lydia ihren schlanken, muskulösen, weiblich gerundeten Körper. Sie untersuchte ihr blasses Gesicht. Auf der Stirn und in den Augenwinkeln zeichneten sich erste Fältchen ab, was Lydia nicht weiter störte. Sie strahlte eine kühle selbstbewusste Schönheit aus. Ihren grauen Augen sah man die kindlichen Ängste und die Zerbrechlichkeit ihrer Seele nicht an.
»Guten Morgen«, sagte sie zu dem Killer, ohne das eigene Spiegelbild aus den Augen zu lassen, »heute kriege ich dich.«
Sie dachte an das Paket vom Vorabend.
»Er will sich mit uns anlegen«, hatte Jeffrey verärgert gesagt. »Er stand direkt vor der Tür!«
Er hatte sich furchtbar aufgeregt, dass der Mörder in greifbarer Nähe gewesen und ihm entwischt war. Nachdem die Polizisten das Paket zur Laboranalyse mitgenommen hatten, setzten Lydia und Jeffrey sich noch einmal an den Küchentisch. Sie sprachen nicht über das, was sich im Wald zwischen ihnen abgespielt hatte, über Jeffreys Sehnsucht und seine Enttäuschung.
»Offensichtlich weiß er, wer du bist, wo du wohnst und womit du dein Geld verdienst. Er hat sich Gedanken gemacht. Was bedeutet, dass er sich mit dir beschäftigt«, sagte Jeffrey leise.
Lydia nickte. Langsam dämmerte ihr das Ausmaß der Bedrohung. »Dann bin ich Teil seines Plans, er bezieht mich in seine Fantasien mit ein.«
»Woher weiß er, dass du ihm auf der Spur bist?«
»Vielleicht hat er es darauf angelegt, mich da mit hineinzuziehen? Und ich bin ihm rein zufällig zuvorgekommen.«
»Er beobachtet dich.«
»Ja, das glaube ich auch.«
»Du scheinst dir keine Sorgen zu machen.«
»Was erwartest du von mir?«
»Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir uns jetzt einfach ein wenig ausruhen.«
Sie hatten sich eine gute Nacht gewünscht. Auf der Treppe hätte Lydia sich fast noch einmal umgedreht. Sie waren sich so nahegekommen – wäre die Polizei nicht plötzlich aufgetaucht, hätte die Nacht zweifellos einen anderen Verlauf genommen.
Erleichtert und zugleich enttäuscht war sie in das Badezimmer neben ihrem Schlafzimmer gegangen, hatte die kalten Fliesen unter ihren nackten Füßen gespürt. Das Bad bestand aus weißem schimmerndem Marmor in den unterschiedlichsten Schattierungen. Die verspiegelten Wände und die Kristallleuchter erhellten den Raum bis in den letzten Winkel, abgesehen von der Dusche und der Dampfsauna hinter der hohen Milchglasscheibe. Lydia kaufte sich nur die teuersten Kosmetika, teure Seifen und Körperlotionen, Badesalze, Puder und Parfums. Sie liebte den luxuriösen Duft. Marion hatte großen Wert auf ein geschmackvolles Badezimmer und ausgesuchte Kosmetik gelegt und alles geliebt, was die Sinne verwöhnte und die Haut pflegte. Die in Zeitschriften angepriesenen Luxusprodukte hatte sie sich jedoch nicht leisten können. Wäre Marion noch am Leben, hätte Lydia sie damit überhäuft.
Unter der Dusche ließ sie kaltes Wasser auf ihre Haut prasseln, damit sie einen klaren Kopf bekam. Sie seifte sich mit Lavendelseife ein, wusch sich das Haar zweimal und verwendete eine Spülung.
Als sie aus der Dusche trat, glänzte ihr feuchter Körper. Lydia trocknete sich mit einem dicken Handtuch ab, wickelte sich darin ein und putzte sich die Zähne.
Jeffrey hatte einen Kaffeebecher neben ihr Bett gestellt. Als er das Wasser laufen hörte, erschauderte er, denn er wusste, wie kalt Lydia duschte. Morgens kalt, abends heiß. Für Lydia war der Morgen der Beginn eines neuen Tages, da blieb ihr keine Zeit für Muße und Entspannung, sie wollte in die Gänge kommen. Jeffrey musste lächeln, spürte jedoch sofort wieder die Enttäuschung. Der magische Moment von letzter Nacht ließ sich nicht so einfach wiederholen, und er nahm die wachsende Distanz zwischen ihnen wahr. Die Annäherung ließ sich ebenso wenig erzwingen wie eine Mondfinsternis – er konnte nur abwarten. Er verließ das Schlafzimmer, als er Lydia aus der Dusche treten hörte.
Als Lydia den dampfenden Kaffee auf dem Nachttisch entdeckte, hätte sie gleichzeitig lachen und weinen
Weitere Kostenlose Bücher