Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
einschaltete, blieb sie wie angewurzelt in der Tür stehen. Ihre Wäscheschublade war herausgerissen worden, und der Inhalt lag verstreut auf dem Boden. Auf den Ganzkörperspiegel neben der Kommode hatte jemand mit rotem Lippenstift geschrieben:
Schaffe mir Recht, o Herr,
nach meiner Gerechtigkeit und Unschuld!
Lass der Gottlosen Bosheit ein Ende nehmen,
aber die Gerechten lass bestehen;
denn du, gerechter Gott,
prüfest Herz und Nieren.
Plötzlich stand Jeffrey hinter ihr.
»Lydia, hast du vergessen, die Hintertür abzuschließen?«, fragte er.
»Nein«, sagte sie und drehte sich zu ihm um. Ihre Wangen waren gerötet. Jeffrey schnappte nach Luft, und sein ganzer Körper verspannte sich, als er die Botschaft entdeckte.
Instinktiv griff er zu seinem .38er Revolver, den er immer bei sich trug.
»Rühr dich nicht vom Fleck. Und fass nichts an«, rief er, als er hinausging, um das Haus abzusuchen.
Aber noch während er Türen aufstieß und von Zimmer zu Zimmer ging, wurde Lydia klar, dass der Killer längst verschwunden war. Er musste ihr irgendwo begegnet sein, und diese Begegnung hatte bei ihm wohl so einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass er sie begehrte. Er wusste, wann sie das Haus verließ. Und sie sollte wissen, dass er hier gewesen war. Obwohl sich vor Angst ihr Unterleib zusammenkrampfte, musste Lydia lächeln. Der Wunsch, ihn zur Strecke zu bringen, war übermächtig. Vor Aufregung zitternd lehnte sie sich in den Türrahmen. Ich bin kein Opfer, und wenn irgendein dahergelaufener Spinner es schafft, mich zu einem zu machen, soll mich der Teufel holen.
»Er hat den Sicherungskasten neben dem Haus aufgebrochen und die Stromzufuhr der Alarmanlage gekappt. So ist er reingekommen. Aber er ist nicht mehr da.«
»Ich weiß«, sagte sie, zog ihr Handy aus der Tasche und rief Chief Morrow über die Kurzwahltaste an. »Hier spricht Lydia Strong. Wir hatten schon wieder Besuch … okay … wir warten hier.«
Jeffrey kam ins Schlafzimmer zurück und sah Lydias Unterwäsche auf dem Boden liegen. Sein Blick war von Wut und Angst getrübt. Wenn er sie jetzt verlor, war all seine Geduld, seine Rücksichtnahme umsonst gewesen. Dann hatte er nie mehr Gelegenheit, seiner Liebe zu ihr Ausdruck zu verleihen, und sie würde nie erwidert. Er würde sie für den Rest seines Lebens mit sich herumschleppen wie einen schweren Stein. Wenn Lydia etwas zustieß, wollte auch er nicht mehr leben. Liebe niemals so sehr, dass deine Welt untergeht, falls das Schicksal dir irgendwann das Objekt deiner Liebe entreißt. Zu spät. Verdammt zu spät.
Lydia sah sein Gesicht im Spiegel, der über der Kommode hing. Sein verbissener Blick erschreckte sie.
»Jeffrey?« Ihre Stimme klang flehentlich.
Er drehte sich um, ging zu ihr, zog sie heftig an sich und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.
»Du musst von hier verschwinden, bis alles vorbei ist«, bat er sie. »Bitte, Lydia.«
»Das kann ich nicht, Jeffrey, das weißt du genau.«
»Lydia …«
Sie berührte seine Wange, strich über die Sorgenfalten an seiner Stirn, fuhr ihm durchs Haar. Dann bedeckte er ihr Gesicht mit Küssen.
»Ich kann nicht mehr, Lydia. Ich kann nicht nach getaner Arbeit einfach wieder verschwinden und so tun, als wäre alles wie immer. Ich kann mich dir gegenüber nicht zwanglos verhalten und dich umarmen wie ein guter Freund. Seit Jahren verzehre ich mich nach dir. Ich kann nicht mehr so tun, als wäre ich immun gegen dich, Lydia. Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt.«
Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Ihre Mutter, ihr Vater, Jed McIntyre, der unbekannte Mörder. Ihr Leben, das Leben ihrer Mitmenschen war verknüpft mit dem Tod und tragischen Schicksalsschlägen. Ihrer Mutter hatte die Liebe immer nur Kummer bereitet. Bis auf Jeffrey hatten sie alle Menschen verlassen oder enttäuscht. Sie musste an Maria Lopez denken. Sie hatte so isoliert gelebt, dass sich niemand für ihre Bestattung zuständig fühlte.
Mit wem stehe ich in Verbindung? Wenn man niemanden liebt, kann man niemanden verlieren … aber man wird auch nicht geliebt. Halte ich ihn auf Abstand, damit er mich liebt, ohne dass ich seine Liebe erwidern muss? Damit ich ihm mein Herz nicht schenken muss?
Sie schloss die Augen, damit er ihre Tränen nicht sah. Als sie sie wieder aufmachte, begegnete sie Jeffreys ernstem, liebevollem Blick. Sein vertrautes, unwiderstehlich attraktives Gesicht war ihre einzige Heimat.
»Ich liebe dich auch«, flüsterte sie. »Immer
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