Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
schon. Das weißt du doch.«
Seine Lippen schmeckten wie der Ozean, warm und salzig. Sie spürte sein Verlangen, seine Gier.
»Ich werde nicht zulassen, dass du mir nahekommst und dann wieder kilometerweit auf Abstand gehst.«
»Ich weiß. Ich will das auch nicht mehr. Ich bin so müde. Ich kann mich nicht mehr wehren und so tun, als bräuchte ich dich nicht. Ich brauche dich. Seit unserer ersten Begegnung.«
Jemand hämmerte an die Haustür. Sie zuckten erschreckt zusammen.
Lydia wollte ihn nicht loslassen. Wollte sich nicht aus seinen starken Armen lösen und sich dem Albtraum stellen. Sie hatte ein Monster gejagt, und nun war das Monster hinter ihr her. Auf einmal hasste sie sich dafür, dass sie dem Horror Tür und Tor geöffnet hatte. Aber nun blieb ihnen keine andere Wahl, als ihm entgegenzutreten.
»Das wird die Polizei sein«, sagte sie.
»Ich weiß. Ich möchte nur nicht, dass dieser Moment vorübergeht.«
»Das passiert auch nicht«, sagte sie lächelnd, »wir haben alle Zeit der Welt.«
Lydia saß im Wohnzimmer auf dem Sofa, als Jeffrey die Polizisten ins Haus ließ. Chief Morrow war als Erster durch die Tür.
»Wie hat er den Alarm ausgetrickst?«, fragte er Jeffrey.
»Der Sicherungskasten ist draußen. Er hat das Schloss aufgebrochen und die Anlage ausgeschaltet. Normalerweise geht bei einer Unterbrechung der Stromzufuhr automatisch der Alarm los. Ich weiß auch nicht, was schiefgelaufen ist«, sagte Jeffrey. »Sobald der Strom abgeschaltet war, stand ihm das Haus mehr oder weniger offen.«
»Scheiße«, sagte Morrow. »Die Überwachung geht heute erst ab Mitternacht los. Wir leiden unter Personalmangel.«
»Alles verlorene Liebesmüh«, sagte Lydia von ihrem Sofaplatz aus, »wie immer.«
»Niemand kann etwas dafür, Chief«, warf Jeffrey schnell ein. »Sorgen Sie nur dafür, dass zukünftig Tag und Nacht jemand vor dem Haus steht. Und damit meine ich: auf dem Grundstück, nicht unten an der Straße im Auto.«
Der Chief nickte und lief vor Wut und Scham rot an. Er folgte Jeffrey ins Schlafzimmer, um sich ein Bild zu machen.
Lydia blieb unten auf dem Sofa. Sie hatte ihre Knie umschlungen. Sie wollte nicht dabei sein, wenn die Kriminaltechniker ihr Schlafzimmer auf der Suche nach Fingerabdrücken mit Pulver einstäubten. Und warum noch einmal die Nachricht lesen? Sicher war es ein Psalm … Schaffe mir Recht, o Herr …
Sie hörte Jeffreys Stimme, verstand aber nicht, was er sagte. Er hatte einen professionellen Tonfall angeschlagen, der keine Ausflüchte duldete und alle in hektische Aktivität versetzte. Darum hatte sie ihn immer beneidet. Andere herumzukommandieren schien ihm leichtzufallen, als wäre er mit einer naturgegebenen Autorität zur Welt gekommen.
Sie hatte keine Angst. Eher fühlte es sich so an, als stünde jede Zelle ihres Körpers unter Spannung. Sie überlegte, ob ihr jemand Ungewöhnliches aufgefallen war. Hatte etwas ihre Aufmerksamkeit erregt, was sie sofort wieder vergessen hatte? War ihr ein Auto mehrmals begegnet? Nein, sie konnte sich erinnern, allerdings hätte sie es ohnehin nicht übersehen. Er hatte sie aus der Ferne beobachtet, immer außer Sichtweite und dennoch zum Greifen nah. Und sie hatte es nicht bemerkt.
Wieder grübelte sie über seinen Namen nach. Irgendetwas daran störte sie schon die ganze Zeit. Sie holte einen Stift und einen Zettel aus der Schublade des Sofatischs und schrieb den Namen auf. Dann stellte sie die Buchstaben um. Als sie die Lösung gefunden hatte, musste sie lachen, so simpel erschien sie ihr plötzlich. Christian I. Deeme war ein Anagramm von Mein ist die Rache.
»Unglaublich«, murmelte sie.
Konnte es ein Zufall sein? Ihre Mutter war von einem Serienkiller ermordet worden, und nun wurde sie selbst von einem verfolgt. Vielleicht war sie genetisch als Opfer vorbelastet? Der Gedanke ließ sie erschaudern. Jed McIntyre hatte sich Opfer ausgesucht, deren Tod eine schmerzliche Lücke hinterließ, besonders im Leben der Kinder. Wie sahen die Auswahlkriterien des Monsters aus, mit dem sie es jetzt zu tun hatten?
Shawna, Maria, Christine und Harold waren Fremde, Phantome. Sie ließen keine trauernde Familie zurück, wirkten ersetzbar. Und doch hatte der Killer sich an ihnen rächen wollen. Weil sie religiös waren und zur Kirche gingen? Sie musste etwas übersehen haben. Schaffe mir Recht, o Herr …
Dass er das Risiko eingegangen war, in ihr Haus einzudringen, wies darauf hin, dass er die Kontrolle verloren hatte. Von nun an
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