Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
nicht wusste, dass der Sex mit dir so gut ist!«
Sie rangen einen Anflug von Scham nieder und lachten. Ihr Lachen klang erleichtert, sie fühlten sich geborgen. Endlich hatte sich ihr sehnlichster Wunsch erfüllt.
ACHTZEHN
S elbst wenn er dicht vor dem Altar kniete und den Rosenkranz in der Hand hielt, konnte er Gott nicht spüren. Früher hatte Pater Luis Gottes Gegenwart so tief empfunden, dass er zu Tränen gerührt war. Aber heute war er allein. Vielleicht war er seit dreißig Jahren allein. Was wollte Gott schon von einem Priester, dessen Leben sich als Lüge entpuppte? Der gelogen hatte, seit Juno auf die Welt gekommen war?
Pater Luis konnte überzeugende Argumente für die Exis tenz Gottes vorbringen. Durch sein Handeln untermauerte er seinen Glauben an die heilige Kirche. Aber angesichts der Armut, der Gewalt und des Leidens in seiner Gemeinde geriet sein Herz ins Wanken. Der Schmerz hatte nicht erst eingesetzt, als seine Schwester starb, aber an dem Tag war er zu einem physischen Leiden geworden, ähnlich der gutartigen Wucherung in seinem Fuß. Er spürte sie nur bei Regen, doch dann war jeder Schritt eine Qual.
Seit dem Besuch der Polizei hatte er konzentriert gebetet und um Hilfe und Führung gefleht. Aber er hatte keine Antworten bekommen, zumindest keine neuen. Pater Luis wusste, dass es an der Zeit war, Juno über seine Vergangenheit aufzuklären. Vielleicht erhörte Gott seine Gebete deswegen nicht mehr, weil er auf der Suche nach einer weiteren Ausrede, nach weiteren feigen Lügen war.
Manchmal wurde Luis, wenn er Juno betrachtete, von Liebe überwältigt. Juno war ein zartes, empfindsames Kind gewesen, ein Abbild engelsgleicher Unschuld. Luis hatte ihn innerhalb der Kirchenmauern beschützen wollen. Immerhin das war ihm gelungen.
Junos Behinderung isolierte ihn von der Außenwelt, die Kirche war seine einzige Zuflucht. Nur während der Gottesdienste und der Bibelstunden hatte er Kontakt zu anderen Kindern gehabt. Juno hatte noch nie das Geräusch eines Fernsehers gehört. Sein Onkel besaß ein altes Transistorradio, das aber nur einen Klassiksender und ein Bildungsprogramm empfing.
Juno war dennoch gut informiert, denn Luis las ihm aus der Zeitung vor. Er wusste, was in der Welt vor sich ging, er kannte den aktuellen Stand der Technik und sogar die Namen einiger Prominenter. All das spielte sich in einem anderen Universum ab, das Juno niemals zu Gesicht bekam. Seine Gitarre, die Gemeinde und die Sorgen seiner Schäfchen interessierten ihn mehr als Marssonden oder berühmte Schauspieler, die wegen Mordes vor Gericht standen. Sein Onkel war insgeheim froh über diesen Mangel an Neugier, der Juno viel Kummer ersparte, weil er von der schlechten Welt nichts mitbekam und von der bitteren Wahrheit verschont wurde.
Er hatte sich fest vorgenommen, Juno irgendwann die Wahrheit zu sagen. Doch als der Junge ihn eines Tages gefragt hatte, hatte Pater Luis ihm Lügen aufgetischt. Mit neun Jahren hörte Juno zum ersten Mal die Gerüchte über den Tod seiner Eltern. Anstatt sich der Verantwortung zu stellen und seinem Neffen die Wahrheit zu erzählen, log der Priester ihn an. Die Geschichte, die er zu hören bekam, schien wie die Heilige Schrift in Stein gemeißelt, und Juno stellte sie nie in Frage. Genauso gut hätte er Noah und die Arche, den Garten Eden oder die Teilung des Roten Meeres anzweifeln können. Die Wahrheit stand für Juno fest. Er verließ sich auf seinen Onkel und sein eigenes Herz.
Die Wahrheit über seine Eltern und wie sie umgekommen waren war hässlich und brutal. In der Trauerphase nach dem Tod der Schwester hatte der Priester für den Jungen alles aufgeschrieben. Juno würde in das Herz seiner Mutter blicken und hoffentlich ihre Beweggründe verstehen.
»Kümmre dich um ihn, und sorge dafür, dass er weiß, wer ich war.« Die letzten Worte seiner Schwester verfolgten ihn. Er hatte sie wieder einmal enttäuscht.
Seit fünfunddreißig Jahren lag die Wahrheit nun weggeschlossen in seinem Schreibtisch, zusammen mit Junos wenigen persönlichen Unterlagen – Geburtsurkunde, Sozialversicherungskarte – zu einem Päckchen verschnürt. Das Papier war inzwischen vergilbt, und niemand außer dem Priester hatte es je zu Gesicht bekommen. Immer wieder hatte Luis sich eingeredet, es sei zu Junos Bestem . Ich will ihn nur schützen. Hat er nicht schon genug gelitten?
Und dennoch spürte er Gottes kritischen Blick auf sich. Luis wusste, er schützte auch sich selbst, und zwar vor Fragen, auf
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