Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
dann hätte er sie später umgebracht. Es hatte nichts mit dir und deinem Verhalten zu tun. Jed McIntyre war krank, so wie Bernard Hugo.«
Die Gestalt war gar nicht ihre Mutter – es war Jeffrey. Hinter ihm stand Morrow. Der Brand war fast gelöscht. Durch den abziehenden Rauch erkannte Lydia die zuckenden Warnlichter der Streifenwagen und Feuerwehrautos.
»Ich will, dass es vorbei ist«, sagte sie und fing zu husten an.
»Baby, gib mir die Pistole. Du hast ihn aufgehalten. Es ist vorbei, wir können nach Hause.«
Lydia ließ die Pistole fallen, und Jeffrey half ihr auf. Dann nahm er sie hoch und trug sie hinaus zum Krankenwagen.
EPILOG
Sechs Monate später
Hanalei Bay, Kauai, Hawaii
W enn die strahlende Morgensonne und die krähenden Hähne Lydia wecken, braucht sie immer erst einen Moment, um sich zu erinnern, wo sie gerade ist. Sie schaut aus dem Fenster und sieht die smaragdgrünen Berge, die aus dem kristallklaren Ozean aufragen und deren Gipfel von mystischem Nebel verhangen sind. Manchmal vergisst sie sogar, wer sie ist. Hier fließen die perfekten, warmen Tage ineinander, und das Rauschen der Wellen und Jeffreys gleichmäßiger Atem haben eine beruhigende Wirkung auf sie. Fünfzehn Jahre lang hat Lydia Strong sich nach innerem Frieden gesehnt. Und nun, da sie ihn gefunden hat, begreift sie nicht, wie sie jemals ohne ihn leben konnte.
Sie brauchte viel Zeit, um zu genesen. Die körperlichen Wunden verheilten schnell. Aber die Erinnerung an den Tod ihrer Mutter hatte sie ausgehöhlt und zerbrechlich gemacht. Wie so oft empfahl Jeffrey ihr dringend, sich Hilfe zu holen. Und weil sie sich beharrlich weigerte, sich auf die Couch zu legen, brachte er sie hierher, an diesen magischen Ort, wo Regenbogen und Geckos wahre Wunder bewirkten. Der Schmerz, die Schuldgefühle, der Verlust, die Trauer und die Angst lösten sich zwar nicht einfach in Wohlgefallen auf, aber sie wurden zu einigen wenigen dunklen Stellen in Lydias buntem Leben. Sie waren ein Teil von ihr, aber sie bestimmten nicht mehr über sie.
Sie hat mit Juno telefoniert, der sich erholt und trotz seines Kummers seine Zukunft plant. Man hat die Leiche von Pater Luis Claro im Kofferraum von Bernard Hugos Minivan entdeckt und ihn neben der Kirche beigesetzt. Die Kirche wurde nach dem Brand restauriert. Ein neuer Priester übernimmt die Gemeinde, und Juno wird sein Assistent, er wird weiterhin die Gitarre spielen. Sein unerschütterlicher Glaube hat ihm geholfen, die Wahrheit über seine Herkunft zu verarbeiten.
»Ich weiß nicht, welche Macht uns zusammengeführt hat, Lydia. Aber sie war stärker als wir beide, nicht wahr? Und die Ereignisse haben uns zu besseren Menschen gemacht. Wir haben voneinander gelernt. Das, was vorgefallen ist, kann kein Mensch je verstehen. Sie hatten Recht: In diesen Lücken und Übergängen wohnt der Glaube«, hat Juno gesagt.
Bernard Hugo liegt immer noch im Koma, kann aber selbstständig atmen. Lydia versucht gerade herauszufinden, wie viel der Klinikaufenthalt den Staat täglich kostet. Sie braucht die Information für ihr neues Buch. Falls er jemals aufwacht, wird er unter anderem wegen fünffachen Mordes angeklagt. Lydia hasst ihn nicht. Jemanden, den man versteht, kann man nicht hassen.
Jed McIntyre hat ähnliche Qualen durchlitten, obwohl seine Geschichte anders verlaufen ist und anders endete als die von Hugo. Aber beide Verbrecher suchten nach Gerechtigkeit. Sie wollten Wiedergutmachung. Bernard wollte seinen Sohn rächen. Seine Logik war natürlich fehlerhaft und irregeleitet, und vielleicht hat er sie auch als Vorwand benutzt, um seine Mordlust zu befriedigen.
Lydia glaubt, dass Hugo sein Leben lang am Rand einer Psychose dahinvegetierte. Die Medikamente und seine Familie konnten seine dunklen Triebe in Schach halten. Aber der schmerzliche Verlust seines Sohnes hatte die Bestie entfesselt.
Sie kann ihn sehr gut verstehen. Lydia glaubt fest daran, dass jedes menschliche Verhalten nachvollziehbar ist, solange man es ehrlich versucht. Der Wunsch, wütend um sich zu schlagen, zu zerstören, ja selbst der Wunsch zu töten – ist ihr nicht fremd.
Benny Savroy kann bis heute nicht über seine Verbindung zu Bernard Hugo sprechen, und wann immer man ihn auf das Thema anspricht, reagiert er mit einem Krampfanfall. Simon Morrow hat Lydia erzählt, der Staatsanwalt wolle kein Verfahren gegen Benny einleiten, obwohl der Fußabdruck neben Maria Lopez’ Leiche von seinen Schuhen stamme und seine Fingerabdrücke in
Weitere Kostenlose Bücher