LYING GAME - Mein Herz ist rein: Band 3 (German Edition)
gehetzt um. Reiß dich zusammen, Emma, schalt sie sich. Sie war sogar viel zu aufgewühlt, um sich eine passende Schlagzeile für die Situation auszudenken. Sie musste unbedingt mehr über Thayer und seine Beziehung zu Sutton herausfinden. War es eine enge Freundschaft gewesen? Eine romantische Affäre? Warum hatten sie am Abend von Suttons Tod ein geheimes Treffen ausgemacht? Wenn Thayer am Abend des 31. August in Tucson eingetroffen war, war er entweder derjenige, der sie als Letzter lebend gesehen hatte – oder ihr Mörder. Aber wo hatte er sich seither versteckt? Warum war er jetzt zurückgekommen? Und wie sollte sie die Antworten auf diese Fragen herausbekommen, ohne ihn direkt zu fragen – oder zu enthüllen, dass sie gar nicht Sutton war?
Emma wünschte sich wieder einmal, dass Sutton in ihrem Zimmer Hinweise deponiert hätte, aber sie hatte es seit ihrer Ankunft schon ein paarmal auf den Kopf gestellt. Sie hatte Informationen über das Lügenspiel gefunden, über die Streiche, die sich Sutton und die anderen ausgedacht, und die Menschen, denen sie dabei geschadet hatten. Sie hatte Suttons Facebook-Seite und ihre E-Mails durchstöbert. Sie hatte sogar das Tagebuch ihrer Schwester gelesen – aber es hatte ihr nicht viel gebracht, denn es enthielt hauptsächlich Gedankenskizzen und Insiderwitze. Auch wenn sie es sich wünschte, würde sie in diesem Zimmer keine neuen Beweise finden.
Ich wünschte es mir auch. Wie gerne hätte ich meine Gedanken in Emmas Kopf gebeamt und ihr mitgeteilt, dass ich in Thayer verliebt gewesen war und am Abend meines Todes mit ihm einen Ausflug gemacht hatte. Dass ich nur Empfänger und nicht Sender sein konnte, machte das Leben nach dem Tod nicht gerade einfacher.
Emma fuhr Suttons MacBook Air hoch und rief die Greyhound-Website auf. Sie suchte nach der Route von Seattle nach Tucson. Es war eine lange Fahrt, die mehr als einen Tag lang dauerte. Fahrerwechsel war in Sacramento.
Emma wählte die Nummer des Kundenservice auf der Site und wartete beinahe zehn Minuten in der Warteschleife, die mit der Kaufhaus-Berieselungsversion eines Britney-Spears-Songs unterlegt war. Endlich meldete sich eine freundlich klingende Frau mit Südstaatenakzent. Emma räusperte sich, straffte die Schultern und begann zu sprechen.
»Ich hoffe so sehr, dass Sie mir helfen können.« Sie versuchte, verzweifelt zu klingen. »Mein Bruder ist von zu Hause weggelaufen, und ich habe Grund zu der Annahme, dass er Tucson mit einem Greyhound verlassen hat. Können Sie mir sagen, ob er ein Ticket gekauft hat? Es muss Anfang September gewesen sein.«
Sie war selbst erstaunt darüber, wie leicht ihr die Story über die Lippen gegangen war. Sie hatte sich vorher nicht überlegt, was sie sagen würde, und war überrascht, wie natürlich sie geklungen hatte. Emma hatte den Trick von Becky gelernt, die ihn ziemlich oft angewendet hatte: eine rührselige Geschichte erfinden, um sich aus einer kniffligen Situation zu befreien. Einmal, als sie in einem Restaurant gegessen hatten und die Rechnung nicht bezahlen konnten, hatte Becky der Kellnerin eine lange Lügengeschichte über ihren Taugenichts von Ehemann aufgetischt, der ihren Geldbeutel geleert haben musste. Emma hatte neben ihrer Mutter gesessen und sie mit offenem Mund angestarrt, aber jedes Mal, wenn sie Luft geholt hatte um Becky zu korrigieren, hatte ihre Mutter ihr unterm Tisch gegen das Schienbein getreten.
Die Frau am anderen Ende der Leitung hüstelte.
»Na ja, Schätzchen, eigentlich darf ich dir so etwas nicht sagen.«
»Ich frage wirklich sehr ungern«, schluchzte Emma. »Aber ich bin völlig verzweifelt. Mein Bruder und ich stehen uns sehr nahe, und ich hab Angst, dass er sich in Gefahr befindet.«
Die Frau zögerte einen Moment lang, und Emma wusste, dass sie angebissen hatte. Schließlich seufzte sie. »Wie heißt denn dein Bruder?«
Bingo. Emma unterdrückte ein Grinsen. »Thayer. Thayer Vega.«
Sie hörte eine Tastatur klappern. »Okay, ich sehe einen Thayer Vega in einem Bus von Seattle nach Tucson, der am 30. August morgens um neun losgefahren ist. Aber sonst taucht der Name nicht im System auf.«
Emma legte sich das Handy aufs andere Ohr. Sie war entmutigt. »Sind Sie sicher? Vielleicht ist er von einer anderen Stadt aus abgereist. Phoenix? Flagstaff?«
»Das ist durchaus möglich«, antwortete die Frau. »Sein Name taucht hier nur auf, weil er sein Ticket online gebucht hat. Vielleicht hat er auf der Rückfahrt am Bahnhof bar bezahlt
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