LYING GAME - Mein Herz ist rein: Band 3 (German Edition)
genug sein würde, die Sache durchzuziehen – obwohl ich wusste, dass auch sie immer mehr in Gefahr geriet, je länger sie hierblieb.
Emma schüttelte ihre Decke ab und tapste zur Tür. Sie schloss auf und schlich sich durch den dunklen Flur und die Treppe hinunter. Unten stolperte sie beinahe über einen Stapel Zeitschriften, den Laurel neben der Treppe deponiert hatte. Eine große Aloepflanze warf lange Schatten auf den Fliesenboden. Draußen tropfte der Regen langsam von der Dachrinne und Emma schaute eine Weile zu. Die Familienfotos im Flur leuchteten unheimlich im Mondlicht. Emma sah ihr Spiegelbild in dem Spiegel mit Goldrahmen, der am Ende des Flurs hing. Ihr dunkles Haar hing ihr wirr über die Schultern und ihr ovales Gesicht wirkte in der Dunkelheit so weiß wie ein Laken. Sie ging in die Küche und spürte die Kühle der Fliesen unter ihren nackten Füßen. Als sie gerade einen Schrank öffnen wollte, sah sie einen Schatten in der Ecke. Sie sprang zurück und knallte mit der Hüfte gegen den Herd.
»Sutton?«
Emma erkannte, dass es sich bei dem Schatten um Mrs. Mercer handelte, die sich vorgebeugt hatte und Drake am Halsband hielt. Der Hund bellte leise auf.
»Was machst du denn so spät noch hier unten?« Mrs. Mercer ließ Drake los und richtete sich auf. Er tapste zu Emma, beschnüffelte ihre Hand und rollte sich dann vor dem Kühlschrank zu einem Knäuel zusammen.
Emma band ihr wirres Haar zu einem Pferdeschwanz. »Ich konnte nicht schlafen und wollte mir ein Glas Wasser holen.«
Mrs. Mercer legte Emma die Hand auf die Stirn. »Hm. Geht es dir gut? Laurel sagte, du seist völlig durchnässt nach Hause gekommen.«
Emma lachte freudlos. »Na ja, ich hatte natürlich keinen Regenschirm dabei. Wir leben ja schließlich in Arizona, oder nicht?« Sie musterte Mrs. Mercers zerzaustes Haar und ihren Morgenmantel. »Und warum bist du noch wach?«
Mrs. Mercer winkte ab. »Ach, Drake hat gewinselt, also bin ich aufgestanden und habe ihn kurz rausgelassen.« Sie ging zur Spüle, füllte ein Glas mit Wasser und warf zwei Eiswürfel hinein. Die Eiswürfel krachten laut im Wasser. Dann setzte sie sich an den Tresen und schob Emma das Glas zu. Dankbar nahm sie einen tiefen Schluck.
»Also …« Mrs. Mercer stützte den Kopf auf die Hand. »Warum kannst du nicht schlafen? Willst du darüber reden?«
Emma legte den Kopf auf den Tresen und seufzte. Sie wollte über so vieles reden. Sie konnte zwar nicht davon sprechen, dass Sutton ermordet worden war, aber vielleicht konnte ihre Mutter ihr mit Ethan helfen. »Ich habe einem Jungen, den ich sehr mag, wehgetan und weiß nicht, wie ich die Sache wieder in Ordnung bringen soll«, sagte sie schnell.
Mrs. Mercer schaute sie mitfühlend an. »Hast du dich entschuldigt?« Mit einem leisen Rumpeln fiel eine frische Ladung Eiswürfel aus der Eismaschine in die Gefriertruhe. »Ich hab’s versucht … aber er wollte nichts davon hören«, sagte Emma.
»Dann versuch es weiter. Finde heraus, was genau du falsch gemacht hast, und überleg dir genau, wie du es wiedergutmachen kannst. Und das machst du dann auch.«
»Und wie?«, fragte Emma.
Mrs. Mercer lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und wischte sich die Finger an einem mit Ananas bedruckten Geschirrtuch trocken. »Manchmal sagen Taten mehr als Worte. Zeig ihm, dass es dir leidtut, dann ist bald hoffentlich wieder alles in Ordnung. Sei einfach die bestmögliche Version deiner selbst. Alle Menschen machen Fehler, dass muss er einsehen. Und wenn er dir nicht verzeihen kann, dann hat er dich auch nicht verdient.«
Emma dachte einen Moment lang nach. Suttons Mom hatte recht: Sie hatte einen Fehler gemacht, nicht mehr und nicht weniger. Sie konnte zwar nicht die bestmögliche Sutton sein, aber definitiv die bestmögliche Emma. Ethan hatte ihr vorgeworfen, sie habe vergessen, wer sie sei – die nette Zwillingsschwester. Sie hatte so viel um die Ohren, dass es ihr manchmal schwerfiel, sich treu zu bleiben – und sich klarzumachen, was sie eigentlich wollte. Emmas Bedürfnisse kamen ihr so unwichtig vor, wenn sie daran dachte, was Sutton passiert war. Etwas zu wollen, außer am Leben zu bleiben und den Mord an ihrer Schwester aufzuklären, kam ihr wie ein unverschämter Luxus vor.
Emma setzte sich auf und spürte plötzlich eine neue Entschlossenheit. Sie musste sich einfach an ihren Plan halten. Sie würde beweisen, dass Thayer ihre Schwester umgebracht hatte. Nur so konnte sie wieder Emma Paxton werden. Aber in der
Weitere Kostenlose Bücher