LYING GAME - Mein Herz ist rein: Band 3 (German Edition)
anderen Eltern, die Emma kannte. Nicht mehr Mitte vierzig, sondern bereits in ihren Fünfzigern.
»Geht’s dir gut?«, fragte Mrs. Mercer, klappte das Waffeleisen zu und stellte die Kelle wieder in die Teigschüssel.
»Äh, ja«, murmelte Emma, obwohl sie sich sehr viel besser gefühlt hätte, wenn sie gewusst hätte, wo Thayer war.
Ein lautes Hackgeräusch tönte durch die Küche. Emma drehte sich um und sah Laurel, die am Küchentisch saß und mit einem schweren Küchenmesser eine reife, saftige Ananas zerschnitt.
Suttons Schwester fing ihren Blick auf und lächelte boshaft. »Ein bisschen Vitamin C für dich?«, fragte sie kalt. Das Messer in ihrer Hand glitzerte bedrohlich.
Noch vor einer Woche hätte sich Emma vor diesem Messer gefürchtet – da hatte Laurel noch zu den Hauptverdächtigen gehört. Aber inzwischen war ihre Unschuld erwiesen: Sie war auf Nisha Banerjees Pyjamaparty gewesen, als Sutton ermordet worden war, und zwar die ganze Nacht lang. Sie konnte ihre Schwester unmöglich umgebracht haben.
Emma schaute die Ananas an und verzog das Gesicht. »Nein, danke. Von Ananas wird mir schlecht.«
Mr. Mercer, die neben der Espressomaschine stand, drehte sich um und sah Emma erstaunt an. »Ich dachte, du liebst Ananas, Sutton.«
Eine kalte Faust schloss sich um Emmas Magen. Sie mochte schon seit ihrem zehnten Lebensjahr keine Ananas mehr. Damals hatte ihre Pflegemutter Shaina einen lebenslangen Vorrat an Dosenananas bekommen, als Preis für den Ananaskuchen, den sie bei einem Rezeptwettbewerb eingereicht hatte. Emma hatte die glitschigen, gelben Brocken ein halbes Jahr lang zu jeder Mahlzeit essen müssen. Natürlich war ausgerechnet Ananas Suttons Lieblingsobst. Sie stolperte immer wieder über die kleinen Details in Suttons Leben, über die sie unmöglich Bescheid wissen konnte. Suttons Vater war das auch schon aufgefallen – er war der Einzige, der Emma bei ihrer Ankunft in Tucson nach ihrer winzigen Narbe gefragt hatte. Und er schien sich immer sehr genau zu überlegen, was er zu ihr sagte, als halte er sich zurück und verberge etwas.
Es war, als spüre er, dass mit seiner Tochter etwas nicht stimmte, ohne genau zu wissen, was es war.
»Bis ich herausgefunden habe, dass Ananas voller leerer Kohlenhydrate steckt«, sagte Emma schnell. Sie konnte sich vorstellen, dass Sutton so etwas sagen würde.
Niemand gab darauf eine Antwort, während aus der Espressomaschine auf dem Speckstein-Küchentresen der Dampf zischte. Mr. Mercer goss Milch in vier Porzellantassen, auf denen Doggen prangten, die Drake sehr ähnlich sahen. Dann wendete er sich Emma zu. »Die Polizisten haben Thayer gestern Nacht an der Autobahnauffahrt zur Route 10 aufgegriffen, als er versucht hat, wegzutrampen.«
»Sie haben ihn wegen Hausfriedensbruchs verhaftet«, fügte Mrs. Mercer hinzu und legte die fertigen Waffeln auf einen Teller. »Aber das ist noch nicht alles. Offenbar trug er ein Messer bei sich – er war also illegal bewaffnet.«
Emma erschauderte. Thayer hätte sie gestern Nacht also jederzeit erstechen können.
»Quinlan sagte, er habe sich der Festnahme widersetzt«, fuhr Mr. Mercer fort. »Er steckt also richtig in Schwierigkeiten. Sie behalten ihn zum Verhör auf der Wache, weil sie ihn auch fragen wollen, wo er die ganze Zeit war und warum er seiner Familie solche Sorgen gemacht hat.«
Emma bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, weil sie nicht zeigen wollte, wie erleichtert sie war. Wenigstens war Thayer im Gefängnis und streunte nicht in Tucson herum. Für den Augenblick war sie in Sicherheit. Solange sich Thayer hinter Schloss und Riegel befand, konnte sie versuchen, hinter die Geheimnisse seiner Beziehung zu Sutton zu kommen … und herausfinden, ob sie wirklich einen Grund hatte, vor ihm Angst zu haben.
»Können wir ihn im Gefängnis besuchen?«, fragte Laurel und stopfte die stachelige Ananasschale in den Mülleimer.
Mr. Mercer wirkte entsetzt. »Auf keinen Fall.« Er deutete nacheinander auf seine beiden Töchter. »Ich will, dass ihr beide einen großen Bogen um ihn macht. Ich weiß, dass er dein Freund war, Laurel, aber denk mal an all die Prügeleien auf dem Fußballplatz, in die er verwickelt war. Und wenn nur die Hälfte der Gerüchte über seinen Alkohol- und Drogenkonsum stimmt, ist der Junge eine wandelnde Apotheke. Und wieso trägt er ein Messer bei sich? Der Junge zieht Ärger an wie ein Magnet. Ich will nicht, dass ihr weiterhin etwas mit ihm zu tun habt.«
Laurel öffnete
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