LYING GAME Und raus bist du
Schritt beiseite. Emma holte ein liniertes Blatt Papier aus dem Umschlag.
Sutton ist tot. Sag es niemandem. Spiel weiter mit … oder du bist als Nächste dran.
Emma suchte mit den Augen die Umgebung ab, aber inzwischen war es sehr still geworden. Der Schulbus hatte die kleinen Kinder an der Ecke eingesammelt und fuhr gerade mit quietschenden Bremsen los. Es klang wie ein gequälter Schrei.
»Was steht drin?« Laurel beugte sich vor.
Emma zerknüllte das Blatt schnell in ihrer Hand.
»Nichts«, sagte sie kaum hörbar.
Laurels Mund verzog sich zu einem verächtlichen Grinsen. Dann öffnete sie die Beifahrertür und deutete auf den Sitz. »Steig einfach ein.«
Emma gehorchte, ließ sich wie betäubt in den Sitz fallen und starrte stur geradeaus. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
»Du bist heute echt komisch«, sagte Laurel und ließ den Motor an. »Was ist eigentlich dein Problem?«
Als ich die beiden beobachtete, umwölkte sich plötzlich meine Sicht. Ich hörte ein Rauschen in meinen Ohren. Was ist eigentlich dein Problem?, hörte ich Laurel wieder und wieder sagen. Die Worte überrollten mich wie Wellen, die immer lauter wurden. Plötzlich sah ich Laurel in einer dunklen Höhle sitzen. Licht und Schatten tanzten auf ihrem Gesicht, ihr Mund war verzogen, Tränen strömten aus ihren Augen. Was ist dein Problem? Was ist dein Problem? Die Worte schlugen in meinem Kopf hin und her wie der Klöppel in einer Glocke.
Eine winzige Fackel leuchtete in meinem dunklen Geist auf. Dann noch eine, und noch eine. Nacheinander fielen Dominosteine um, bis ich eine voll ausgeformte Szene aus meiner Vergangenheit vor Augen hatte. Eine Erinnerung.
Plötzlich wusste ich ganz genau, wann und wo Laurel mich schon einmal gefragt hatte, was mein Problem sei.
Aber ich sah noch mehr …
9 – Mimikry ist vollendete Bewunderung
»Die Party hat offiziell begonnen«, rufe ich und stolziere hinter einem großen Felsbrocken hervor, hinter dem ich meinen silbernen Bikini angezogen habe. Meine Beine sind frisch epiliert, meine Gesichtshaut ist makellos und meine Haare schimmern in den Lichtern des Hotels. Alle Blicke sind auf mich gerichtet.
Garrett pfeift durch die Zähne. »Du bist das heißeste an den Thermalquellen.«
Ich grinse. »Da hast du recht.«
Garrett bedeutet mir, näher zu kommen. Er sitzt in dem warmen, schäumenden Wasser der Thermalquellen im Clayton-Resort, einem geheimen Spa-Hotel in den Bergen. Eigentlich dürften wir gar nicht hier sein – die Quelle ist nur für die reichsten Gäste geöffnet –, aber das hält meine Freundinnen und mich nicht davon ab, hier zu baden. Wir bekommen immer das, was wir wollen.
»Komm rein, Schätzchen«, ruft Madeline. Sie sitzt ebenfalls bereits im Wasser. Ihr Haar ist auf ihrem Kopf zu einem unordentlichen Knoten zusammengefasst, aber ihre Arme sind durch ihre Millionen Ballett- und Pilatesstunden schlank und durchtrainiert, und die Hitze des Wassers lässt ihre Haut sexy schimmern. Mads sieht immer ein bisschen besser aus als ich, was mich ziemlich nervt. Und sie sitzt dicht neben Garrett – ein bisschen zu dicht. Ich habe zwar keine Angst, dass zwischen ihnen etwas laufen könnte – sowohl Madeline als auch Garrett wissen, dass ich sie dann umbringen würde –, aber ich habe Garrett trotzdem gerne ganz für mich.
Wir sind erst seit zwei Monaten zusammen. Alle glauben, dass ich mit ihm ausgehe, weil er zu den Fußballstars der Schule gehört und weil er auf dem Bademeistersitz des W-Resort-Pools so verdammt gut aussieht. Oder weil seine Familie ein Strandhaus in Cabo San Lucas besitzt, in das sie jedes Jahr im Frühling fahren. Aber in Wirklichkeit mag ich Garrett, weil er ein bisschen … beschädigt ist. Er ist anders als all die anderen selbstsicheren Typen hier, die ahnungslos ihr behütetes, langweiliges, hermetisch abgeriegeltes Vorstadtleben führen.
Ich dränge mich zwischen die beiden und werfe Madeline ein kühles Lächeln zu. »Ich hoffe, du hast unter Wasser nicht meinen Freund befummelt, Mads. Ich weiß ja, dass du Schwierigkeiten damit hast, Jungs auseinanderzuhalten.«
Madeline wird rot. Vor nicht allzu langer Zeit – kurz nachdem ihr Bruder Thayer verschwand – hat Mads auf einer Party in der Wüste mit einem dunkelhaarigen Typen von der Ventura Prep herumgeknutscht. Nach einiger Zeit ging sie sich ein neues Getränk holen. Dann marschierte sie zur inoffiziellen Knutschzone zurück und machte munter weiter … aber diesmal mit einem blonden Kerl.
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