LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
Oberlippenbart und ein Rotschopf mit Sommersprossen, kommen auf uns zu.
»Ladys?« Der Rothaarige holt einen Notizblock aus der Tasche. Sein Funkgerät piept alle paar Sekunden. »Was ist hier los?«
Lili dreht sich abrupt zu ihm um, und einen Moment lang fürchte ich, sie wird ihm tatsächlich alles erzählen. Aber dann beginnt ihre Unterlippe zu zittern. Die Sanitäter gehen an uns vorbei und bringen Gabby zum Krankenwagen. »Wo bringen Sie sie hin?«, ruft Lili ihnen nach.
»Ins Oro-Valley-Krankenhaus«, antwortet ein Sani.
»W… wird sie wieder gesund?«, fragt Lili, aber der Wüstenwind trägt ihre zitternde Stimme fort und niemand antwortet ihr. Lili holt sie ein, ehe sie die Türen des Krankenwagens schließen. »Kann ich mitfahren? Sie ist meine Schwester.«
Der Bulle räuspert sich. »Sie können noch nicht gehen, Miss. Wir brauchen noch Ihre Aussage.«
Lili zögert. Ihre Zehenspitzen zeigen auf den Krankenwagen, ihr Körper ist in unsere Richtung gedreht. Widerstreitende Gefühle strömen innerhalb von Sekunden über ihr Gesicht, und ich kann ihr Gehirn beinahe rattern hören, als sie ihre Optionen durchrechnet. Schließlich hebt sie achselzuckend die Hände wie eine weiße Fahne. »Die anderen können für mich aussagen. Wir haben alle dasselbe erlebt.«
Ich atme auf.
Der Cop nickt, wendet sich Madeline, Charlotte und Laurel zu und beginnt, seine Fragen zu stellen. Kurz nachdem Lili in den Krankenwagen gestiegen und davongefahren ist, spüre ich ein Summen in meiner Tasche. Ich hole mein Handy heraus und sehe auf dem Display eine neue Nachricht von Lili.
WENN MIT MEINER SCHWESTER ETWAS IST, VON DEM SIE SICH NICHT ERHOLT, DANN BRINGE ICH DICH UM.
Blablabla, denke ich. Und dann drücke ich auf LÖSCHEN .
19
Menetekel
Zuerst erkannte Emma nur verschwommene Schatten. Sie hörte Schreie, aber sie schienen durch einen langen Tunnel zu ihr zu dringen. Gegen ihren Rücken drückten Holzdielen. Muffige, abgestandene Luft umgab sie. Sie spürte Feuchtigkeit auf ihrem Gesicht und fragte sich benommen, ob das Blut war.
Weicher Stoff berührte ihren nackten Arm. Atem wärmte ihre Haut. »Hallo«, versuchte Emma zu rufen. Es war sehr anstrengend, Worte zu formen. »Hallo?«, sagte sie wieder. »Wer ist da?«
Eine Gestalt wich zurück. Die Dielen knarrten. Emma sah immer noch alles nur verschwommen. Jemand stand ganz in ihrer Nähe, aber sie sah nur einen schwarzen Fleck. Dann hörte sie Quietschen und roch Kreidestaub. Was ging hier vor?
Ein paar Sekunden später sah sie wieder scharf. Der Fleck war verschwunden. Vor ihr stand eine große Schultafel, die mal Teil eines Bühnenbilds gewesen war. Emma war während der Vorbereitungen auf die Party heute tausendmal daran vorbeigelaufen. Sie hatte gesehen, dass jemand ein Zitat aus der Glasmenagerie daraufgeschrieben hatte: »Meist wendet sich alles zum Schlechten.« Diese Worte hatte nun offenbar jemand abgewischt und eine neue Nachricht daraufgeschrieben. Als Emma die in schiefer Handschrift verfasste Botschaft las, gefror ihr das Blut in den Adern.
Hör auf zu schnüffeln, sonst tue ich dir nächstes Mal wirklich weh.
Emma keuchte auf. »Wer ist da?«, schrie sie. »Zeig dich!«
Aber der Verfasser der Botschaft antwortete nicht. Und dann überwältigte die warme, pulsierende Dunkelheit Emma erneut. Ihre Augenlider senkten sich flatternd, egal wie sehr sie dagegen ankämpfte. Kurz bevor sie wieder bewusstlos wurde, sah sie, wie dieselbe verschwommene Gestalt – oder möglicherweise auch zwei Gestalten – mit den Händen die Tafel abwischte und die Nachricht auslöschte.
Als Emma das nächste Mal die Augen öffnete, lag sie in einem Bett in einem kleinen, weißen Zimmer. Ein Poster mit Anweisungen zum korrekten Händewaschen hing an der Wand gegenüber. Ein weiteres Poster mit einer Anleitung für das Heimlich-Manöver hing über einem kleinen Tisch, auf dem Wattestäbchen und Schachteln mit Einmalhandschuhen standen.
»Sutton?«
Emma drehte sich zu der Stimme um. Madeline saß auf einem Schreibtischstuhl neben dem Bett, die Hände im Schoß verschränkt. Als sie sah, dass Emma wach war, breitete sich Erleichterung auf ihrem Gesicht aus. »Gott sei Dank! Alles okay?«
Emma hob den Arm und legte ihn sich auf die Stirn. Ihre Glieder fühlten sich wieder normal an, nicht mehr wie Sandsäcke. »Was ist passiert?«, krächzte sie. »Wo bin ich?«
»Es ist alles in Ordnung, Liebes«, sagte eine zweite Stimme. Eine schlaksige Frau mit stumpf
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