LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
Gabs!«
Sie holte eine zerknitterte Saks-Einkaufstüte aus der Nische, eine Tüte, die dort definitiv schon Stunden – oder sogar Tage – gelegen hatte. Man hörte das Knistern von Seidenpapier, als sie hineingriff und zwei fließende schwarze Kleider herausholte.
Charlotte und Madeline starrten sich mit offenem Mund an und auch Laurel wirkte fassungslos.
»Wo kommen denn diese knitterfreien Jerseykleider von Yigal Azrouel auf einmal her?«, fragte Gabby mit gespieltem Erstaunen. »Wow! Sie haben sogar die richtige Größe!«
Die Twitter-Zwillinge zogen sich die Kleider über den Kopf, wirbelten herum und starrten Charlotte, Madeline, Laurel und Emma böse an. »Netter Versuch«, sagte Lili eisig, als eine Maskenbildnerin auf sie zueilte und ihr dunkle Ringe unter die Augen schminkte.
»Wir haben euren lahmen Trick sofort durchschaut.«
Gabby wendete sich Emma zu. »So dumm, wie wir aussehen, sind wir nun auch wieder nicht, Sutton. Gerade du solltest das eigentlich wissen.«
Emma presste sich eine Hand auf die Brust. »Ich habe euch noch nie für dumm gehalten!«
Gabby grinste sarkastisch. »Na klar.«
Ohne ihren Blick von Emma abzuwenden, marschierte sie zu ihr, griff in die Saks-Tasche und holte das Pillendöschen mit dem pinkfarbenen Deckel heraus, das Emma schon vor ein paar Tagen aufgefallen war. Der Name des Medikaments stand in dicken schwarzen Blockbuchstaben darauf. TOPAMAX . Emma zuckte zusammen. Sie war sicher gewesen, dass Gabby sich nur Ritalin, Valium oder eine andere Partydroge einwarf. Aber Topamax klang ernst.
Gabby nahm den Deckel ab und legte sich zwei Tabletten in die Hand, die sie ohne Wasser schluckte. Dann schüttelte sie das Döschen wie eine Kastagnette und schaute Emma noch einmal an. »Solltest du nicht allmählich unsere Schärpen holen und deine Position einnehmen, Sutton?«, sagte sie höhnisch. »Du kommst von links auf die Bühne.«
Einen Augenblick lang war Emma wie gelähmt. Es war, als habe Gabby einen Zauberspruch eingesetzt, der ihre Glieder erstarren ließ. Charlotte stupste sie an. »Das ist echt Mist, aber sie hat recht. Es ist Zeit. Nehmt eure Plätze ein, Mädels!«
»Einen Moment«, schrie Lili und sprintete noch einmal zu der Treppe. »Ich habe mein iPhone vergessen!«
»Du brauchst dein iPhone jetzt nicht«, knurrte Madeline. »Du wirst auf der Bühne einiges zu tun haben!«
Aber Lili blieb nicht stehen. Ihre Absätze klackerten auf den Metallstufen. »Dauert nur eine Sekunde!«
Die Tür zum Technikraum knallte zu. Emma drehte sich um, schnappte sich sechzehn Hofstaat-Schärpen aus orangefarbener Seide und ging zu dem X auf der Bühne, das ihre Position markierte. Sie befand sich hinter einem Seitenvorhang und war völlig abgetrennt vom Hofstaat und den anderen Planern. »Vorhang auf«, befahl Charlotte.
Die Menge murmelte lauter. Die Hofdamen, außer Lili, die immer noch oben war, fuhren sich noch einmal durch die Haare und puderten sich die Nasen. Aber als Emma an den blendend hellen Flutlichtern vorbei auf die Bühne blickte, sah sie, dass Gabby sie mit dem Hauch eines Lächelns anstarrte. Mit ihrem Leichen-Make-up, den dunklen Augenringen, den Narben auf der Wange und den blutigen Wunden am Hals wirkte sie bedrohlich. Böse.
Emma wich einen Schritt zurück. Und dann fiel ihr noch etwas auf, was sie bisher nicht bemerkt hatte. An Gabbys Handgelenk hing ein silbernes Bettelarmband. Winzige Gegenstände baumelten an der Silberkette: ein kleines iPhone, ein Lippenstift, ein winziger Scotchterrier. Sie waren aus demselben Silber wie die Mini-Lokomotive, die in Emmas Handtasche ruhte.
Emma und ich begannen zu frösteln. Die Twitter-Zwillinge hatten mich getötet. Das spürte ich.
»Seid gegrüßt, Schüler der Hollier High«, sagte Madeline so laut ins Mikrofon, dass Emma zusammenzuckte. »Sind alle bereit für den Schulball?«
Alle jubelten und aus den Lautsprechern dröhnte »Paparazzi« von Lady Gaga. Die Musik war so laut, dass Emma das Reißen von Stahlseilen über sich kaum hörte. Als sie nach oben blickte, sah sie den schweren Scheinwerfer aus den Dachsparren auf sich zustürzen. Sie schrie und sprang zur Seite, als er mit einem ohrenbetäubenden Krachen auf dem Boden aufschlug.
Bernsteinfarbenes Glas splitterte überall hin. Jemand schrie – möglicherweise Emma selbst. Sie spürte, wie ihr Körper schlaff wurde und zu Boden fiel. Die Schärpen glitten ihr aus der Hand und fielen zu Boden. Bevor Emmas Augen sich schlossen, sah sie, dass Lili
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