Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
eine Schulwerkstatt erinnerte, in der Basteln und Werken stattfindet. An den drei großen, quadratischen Werktischen saßen je vier Patienten, die im Gegensatz zu Joli weiße Hosen und T-Shirts trugen.
„Ich gehöre hier nicht hin“, sagte Joli eindringlich, doch in einem leisen Ton, denn sie wollte nicht, dass die Patienten es hörten und sich womöglich beleidigt fühlten.
Frau Glanz hob eine Braue und musterte Joli von oben bis unten. Ihr Blick sagte mehr als tausend Worte. „Wir arbeiten heute mit Wassermalfarben. Sie sollten teilnehmen.“ Sie lächelte gütig.
Joli hingegen seufzte schwermütig. Wahrscheinlich würde sie weder Dr. Freck noch sonst irgendjemanden in diesem Haus davon überzeugen, dass sie nicht verrückt war. Sie konnte lediglich hoffen, dass Rem sie so bald wie möglich aus diesem Irrenhaus befreite.
Resigniert stapfte sie zu einem freien Platz am vorderen Tisch. Also schön, malte sie ein Bild. Sie war zwar nicht im Geringsten begabt, aber sie entschied sich, nicht weiter aufzufallen.
Irgendwie konnte sie Dr. Freck sogar verstehen. Ein Normalsterblicher wusste natürlich nichts von Werwölfen und Vampiren. Sie selbst hatte ihren eigenen Vater für verrückt gehalten, als er sie in Rems Geheimnis eingeweiht hatte. Warum sollte es einem Arzt anders gehen. Wenn sie ihm von Jade erzählte, die sie entführt und betäubt hatte, würde er nur noch mehr an ihrem Verstand zweifeln. Wahrscheinlich hatte Jade geahnt, dass niemand Joli ein Wort glauben würde und sie deshalb in ein Sanatorium eingeliefert. Aber warum wollte sie Joli überhaupt aus dem Weg räumen? Joli versuchte einen interessierten Gesichtsausdruck zu mimen als die Ergotherapeutin ihr ein weißes Blatt Papier vor ihre Nase legte.
„Kleben Sie das Papier mit dem dicken Klebeband am Tisch fest, damit es nicht verrutscht, wenn Sie es bemalen“, erklärte die Therapeutin nervtötend freundlich in die Runde.
Sie spielte besser die Geläuterte, vielleicht erkannte der Doktor dann, dass sie nicht krank war. Resigniert griff sie nach einem dicken Pinsel und tauchte ihn in das bereitgestellte Wasserglas während Frau Glanz erläuterte um was es in dieser Malstunde ging.
„Wir werden heute unseren besten Freund malen. Jeder von Ihnen hat doch einen besten Freund oder eine beste Freundin, nicht wahr?“
Es entbrannte eine heiße Diskussion zum Thema Freundschaft, an der Joli weder teilnahm noch den anderen zuhörte. Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Irgendwie musste sie hier rauskommen. Sie konnte ihre Eltern anrufen. Ihr Adoptivvater würde sicher wissen, was zu tun ist. Er arbeitete im Krankenhaus einer Justizvollzugsanstalt. Fälle wie dieser waren ihm bestimmt nicht fremd. Dann fiel ihr jedoch ein, dass ihre Eltern gestern nach Ibiza geflogen waren. Und Papa hatte die Angewohnheit, sein Handy zu Hause zu lassen, wenn er im Urlaub war, weil er nur so abschalten konnte. Als nächstes fiel ihr Tremonde ein, dessen Nummer sie aber nicht auswendig kannte. Wo ihr Handy war, wusste sie nicht.
„Und was möchten Sie malen, Frau Balbuk?“ Frau Glanz blickte neugierig über ihre Schulter.
„Ich male meine beste Freundin Karla. Sie ist Tierarzthelferin, genau wie ich.“
„Sehr schön, sehr schön.“ Frau Glanz stellte sich neben Jolis Sitznachbarin.
„Welchen Freund malen Sie“
„Ich male Gabriel, den Werwolf.“
Joli horchte auf und wagte einen Blick auf die junge Frau neben sich.
„Wir malen heute nur echte Freunde.“
„Er ist echt, er hat mich schon oft beschützt.“
„Überlegen Sie einmal, welchen realen Freund Sie malen könnten.“ Die zierliche Ergotherapeutin klopfte der Patientin auf die Schulter und setzte ihre Runde fort, um auch den anderen Anregungen zu geben.
„Er ist echt“, flüsterte die Frau trotzig und malte drauf los.
„Wo haben Sie ihn kennen gelernt?“, fragte Joli ihre Sitznachbarin, deren pechschwarze Haare in dicken Locken über die schmalen Schultern hingen. Sie sah hübsch aus. Wie eine Schneewittchenpuppe, vom Piercing ihrer linken Augenbraue abgesehen.
Sie hob den Kopf und lächelte. „Er hat mich gefunden. Wir sind auf magische Weise miteinander verbunden. Ich hätte niemanden von ihm erzählen dürfen. Das hat mich in Schwierigkeiten gebracht. Eigentlich ist seine Existenz ein Geheimnis“, sagte sie nachdrücklich.
Joli nickte ernst. Die Geschichte kam ihr äußerst bekannt vor. Sie musste mehr über diesen geheimnisvollen Gabriel erfahren. Vielleicht hatte sie in
Weitere Kostenlose Bücher