Lykandras Krieger 2 - Blutsklavin (German Edition)
Meerwasser. Zärtlich strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Theresa spürte, wie fasziniert Jessy von dem Fremden war. Sie hingegen empfing Warnsignale, die der Mann aussandte. Als er Jessy anlächelte, entdeckte Theresa die Eckzähne.
Mit einem Schrei schreckte Theresa aus ihrem Schlaf hoch. Sie musste zu Jessy. So schnell sie konnte schlüpfte sie in ihren Rock, das T-Shirt und die Flip Flops, hastete aus dem Zimmer in den Flur, die Treppe hinunter und hinaus aus dem Hotel. Stolpernd und wankend erreichte sie den Strand. Einen ihrer Latschen hatte sie unterwegs verloren.
„Wo ist Jessy?“, fragte sie den ihr wohlbekannten südländischen Kerl, der sie heute Nachmittag noch unverblümt angeflirtet hatte. Aber der zuckte nur mit den Schultern.
Theresa drängelte sich durch die tanzenden jungen Leute bis zum Wasser vor. Dort standen sie.
„Jessy!“, rief sie so laut sie konnte.
Jessy hob einen Arm und winkte ihr zu. Theresa lief zu ihr.
„Geht’s dir wieder besser?“, fragte Jessy.
Von wegen. In ihr war alles in Aufruhr.
„Lassen Sie meine kleine Schwester in Ruhe“, fuhr sie den Mann an, der ins Wasser zurück wich.
Erst jetzt merkte Theresa, dass er gar nicht so totenbleich wie in ihrem Traum war und auch ganz anders aussah.
„Entschuldigung, ich wollte niemandem zu nahe treten“, stotterte der Kerl hastig und entfernte sich.
Jessy wollte ihn zurückhalten, aber da war er schon in der Menge der Feiernden verschwunden. Wütend stemmte Jessy die Hände in die Seiten.
„Theresa, was soll das?“
Theresa war zutiefst peinlich berührt. Sollte ihr Traum nicht mehr als das gewesen sein?
„Ich dachte, er belästigt dich“, versuchte sie sich herauszureden.
Wie sollte sie ahnen, ob ein Traum eine Vision oder nur ein Hirngespinst war?
Jessy lächelte sie versöhnlich an. „Schon okay. Er war nicht mein Typ. Aber lieb, dass du extra wegen mir hier runter gekommen bist.“
Überrascht hielt Theresa still, als Jessy sie liebevoll umarmte. Sie hatte nach diesem Fehler mit einem Donnerwetter gerechnet. Aber Jessy schien ganz froh zu sein, dass sie aufgetaucht war.
„Bleibst du jetzt hier? Die Party ist wirklich sehr schön.“
Theresa nickte und setzte sich auf eine Matte ans Wasser. War dieser Traum eine Zukunftsvision oder nur das Verarbeiten ihrer Ängste gewesen? Wie dem auch sei, sie war heilfroh, dass der Verehrer ihrer Schwester kein Vampir war. Das bedeutete jedoch noch lange nicht, dass sie niemals auf einen Blutsauger treffen würde. Weder Jessy noch irgendein anderer Mensch wusste, wie viele Vampire es gab und dass sie sich unerkannt unter den Menschen bewegten. Eine im Verborgenen drohende Gefahr für jeden. Nur weil sie mit Correys dunkler Welt nichts mehr zu tun haben wollte, hieß das noch lange nicht, dass es umgekehrt ebenso der Fall war. Sie würde ihnen sowieso niemals entkommen können.
Je länger sie den dunklen Wellen zusah, die an den Strand rauschten, erkannte sie, dass sie eine Verantwortung all den Unwissenden gegenüber hatte, die nicht ahnten, dass Werwölfe und Vampire existierten. Theresa hatte als Eingeweihte, die den Schrecken hautnah erlebt hatte, als jemand, dem die Gabe der Vorsehung gegeben war, eine Verpflichtung. Auch wenn sie diese nicht haben wollte, sie ergab sich ganz von allein.
Sie wünschte inständig, dass Jessys Leben so sorglos bleiben würde wie es jetzt war. Aber das konnte es nur, wenn sie ihre Bestimmung endlich anerkannte. Vor allem aber wollte sie eins. Zurück zu Correy.
Correy nahm drei Stufen auf einmal. Als sich ihm die Tür öffnete, fiel ihm eine aufgeregte Theresa um den Hals.
„Es tut so gut, dich wiederzusehen.“
Er hatte nicht damit gerechnet, sie nur wenige Tage nach ihrem Abflug wieder in den Armen zu halten. Glücklicherweise war er noch in Berlin geblieben, um sich nach einer neuen Wohnung umzusehen. Er hoffte, sie steckte nicht in Schwierigkeiten und war deshalb früher als geplant heimgekehrt. Ehe er ihre Worte richtig verarbeitet hatte, küsste sie ihn, bis sich seine Fußzehen nach oben bogen.
„Ich dachte, du wärst im Urlaub?“, fragte er in einer Atempause.
„Ich habe einen früheren Flieger genommen. Ich konnte nicht länger am Strand sitzen, ich vermisse dich zu sehr. Danke, dass du gleich rumgekommen bist“, sagte sie und schmiegte sich an seine Brust.
Correy legte die Arme um sie. Als er überraschend ihren Anruf erhalten hatte, hatte er keine Sekunde gezögert und war sofort zu ihr gefahren.
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