Lynettes Erwachen
reicht’s endgültig!“
Ohne zu klopfen, riss Lynette die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen. Sie sah, wie Jonas den Gummischlauch um Charlottes Arm löste, eine Kompresse auf die Einstichstelle drückte und die Spritze entsorgte.
Verstört stotterte Lynette: „Oh … Ähhh … Ich komme noch mal wieder.“
„Nein, bitte bleib“, bat Charlotte mit weicher Stimme.
Jonas gab seiner Zukünftigen einen Kuss und verließ das Zimmer. Zutiefst verwirrt schloss Lynette die Tür und ging auf Charlotte zu. Diese sah müde und erschöpft aus.
„Bitte setz dich.“ Charlotte deutete auf einen Stuhl ihr gegenüber. „Lass mir noch ein paar Augenblicke, bis das Morphium wirkt.“
„Morphium? Was ist mit dir?“
„Ich habe Krebs.“
Fassungslos starrte Lynette die ihr verhasste Frau an. Warum hatte diese sie in so eine Situation gebracht? Keine Sekunde zweifelte sie daran, dass Charlotte geplant hatte, dass sie in diesem Moment dazukam. Plötzlich spielte nichts mehr eine Rolle. Und exakt das war wohl die Absicht dahinter. Der Ärger, die Wut, alles verlor an Bedeutung.
„Jonas hat mir erzählt, dass du wütend auf mich bist. Du hast keinen Grund dazu. Ich mag dich, und es tut mir leid, sollte ich dir zu nahe getreten sein. Manchmal geht es mit mir durch.“
Diese Frau schien eine andere zu sein. Keine Spur von Härte oder Arroganz lag in der Stimme.
„Ich bin wütend, weil du mich nicht akzeptierst. Du weißt, wie wichtig Elias deine Meinung ist.“
„Meine Meinung ist ihm egal. Er liebt dich!“
Was sollte sie dazu sagen? Akzeptierte Charlotte sie? Diese wirkte so kraftlos, so …
„Wie lange noch?“
„Ein, zwei Monate.“
„Weiß Elias davon?“
Energisch schüttelte Charlotte den Kopf. „Und ich will, dass das so bleibt.“
Und warum belastest du mich mit dem Wissen, du Hexe? „Aber das kannst du nicht machen. Du musst ihm die Chance geben, sich von dir zu verabschieden.“
„Ich will sein Mitleid nicht, keine Tränen. Du solltest mich am besten verstehen.“
Das tat Lynette, obwohl sie die Frau nach wie vor verabscheute. Schwäche zu zeigen, war für sie beide unerträglich.
„Und was wolltest du von mir?“
„Ich habe ein Geschenk für dich.“
Charlotte deutete mit dem Kopf in die rechte Ecke des Zimmers. Auf einer Kleiderpuppe hing ein rotes Kleid aus Seide, der Rock bodenlang, das Oberteil war ein Korsett.
„Warum willst du mir das schenken?“, fragte Lynette skeptisch. Es fiel ihr schwer, dieser Frau zu trauen.
„Wenn ich Jonas das Jawort gebe, möchte ich dich an meiner Seite. Da solltest du nicht wie ein kleines Mauerblümchen aussehen. Das bist du nach letzter Nacht nicht mehr.“
Lynette stand der Mund offen. Die Gedanken drehten sich im Kreis. Was hatte das alles zu bedeuten? Als Charlottes Worte bis in den letzten Winkel ihres Verstandes gedrungen waren, kam die Wut zurück.
„Was weißt du von letzter Nacht?“, fauchte sie.
„Woher weiß ich von dem Büßerbock?“
„Verdammt, Charlotte.“ Lynette warf den Stuhl um, als sie aufsprang. „Weiß Elias, dass du uns beobachtet hast?“
„Elias?“ Charlotte lachte boshaft. „Elias hat nie mitbekommen, dass ich ihn beobachte.“
„Warum tust du das? Ich versteh dich nicht.“
„Du hast Jonas auch beobachtet.“
„Das war etwas anderes. Ich hatte das nicht geplant, und dass Jonas der dritte Mann …“ Lynette wurde knallrot. „Ach, egal! Warum sollte ich nach allem, was du getan hast, an deiner Seite stehen?“
„Weil Elias da stehen wird, und du gehörst zu ihm.“
Lynette brauchte eine ganze Weile, um ihre Stimme wiederzufinden.
„Das war das Netteste, was du bis jetzt zu mir gesagt hast.“
Charlotte zuckte mit den Schultern. „Wenn du das Kleid möchtest, sei eine Stunde vor der Zeremonie hier.“
An der Tür blieb Lynette stehen. Ohne Zorn sah sie auf Charlotte herab.
„Gib Elias die Chance, dir Lebewohl zu sagen. Das bist du dir selbst schuldig.“
„Du bist so verschlossen, Schatz. Was hat Charlotte dir an den Kopf geworfen?“
Elias trat hinter sie, schlang ihr die Arme um die Taille und sah mit ihr gemeinsam auf den Atlantik.
„Charlotte hat mir ein Kleid für die Hochzeit geschenkt. Sie findet das andere zu spießig.“
„Und das regt dich auf?“
„Nein! Es regt mich auf, dass sie recht hat und das andere viel schöner ist.“
Elias lachte. „Ich werde Frauen nie verstehen. Warum willst du sie krampfhaft nicht mögen?“
„Weil sie eine anmaßende,
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