Lynettes Erwachen
toll aus. Mit diesem Kleid stiehlst du Charlotte die Show.“
Das hatte sie bereits, und es erfüllte sie mit großer Genugtuung, obwohl so viel Bosheit nicht Lynettes Naturell entsprach.
Die Musik begann.
In Scharlachrot gekleidet, trat Charlotte in den Garten. Lynette würdigte sie keines Blickes. Einzig Jonas’ Strahlen ließ sie dieses Theaterstück ertragen. Warum auch immer, er liebte diese Frau aufrichtig.
Wenigen Minuten später bekam Lynette von der Zeremonie nichts mehr mit. Sie dachte an Elias, wie sie sich kennengelernt, er ihre Hand etwas zu lange gehalten hatte und sie in dessen Blick für Sekunden versunken war. Schon in diesem ersten Augenblick hatte er sie tief bewegt, doch sie hatte das Gefühl sofort abgetötet.
Sanft lächelte sie vor sich hin. Die Hand ihres Vaters schloss sich fester um ihre.
„Vielleicht werde ich dich auch eines Tages zum Altar führen?“
Lynette sah auf – sah Elias in dem schwarzen Anzug neben Jonas stehen und dem Treuegelöbnis lauschen. Was für eine Farce! Es war leicht, Treue zu schwören, wissend, dass der Partner nur noch zwei Monate zu leben hatte. Erst gestern hatte er seine Zukünftige im Lustrausch durch einen Mann eingetauscht.
Du denkst zu viel , hörte sie Elias sagen.
Keine zehn Meter vor ihr stand er – der Mann ihrer ungeträumten Träume. Der Mann, der ihr eine Welt der Lust und der Leidenschaft eröffnet hatte, die sie nie für möglich gehalten hatte. Der Mann, den sie über alles liebte und der sie liebte.
„Ja, Dad. Das wirst du – eines Tages.“
Epilog
Ein Jahr später
Ein spitzer Schrei ließ Elias das Blut in den Adern gefrieren. Wie ein Besessener rannte er die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle, den Salon, in den Wintergarten. Lynette kniete auf dem Boden, eine Hand auf den Mund gepresst und mit weit aufgerissenen Augen.
„Was ist los, Schatz? Ist etwas mit dem Baby?“
„Nein“, flüsterte sie, die Tränen nicht zurückhaltend. Mit einem zitternden Finger deutete sie auf eine von Aurelias Rosen. „Sieh doch!“
Elias musste sich vorbeugen, um den zarten grünen Trieb zu erkennen, der sich am verknorpelten Stamm der Rose bildete.
„Ich wollte sie gerade ausgraben, da habe ich es gesehen. Mein Gott, sie leben noch. In diesen alten Rosen ist immer noch Leben.“ Unaufhörlich kullerten ihr Tränen über die Wangen.
Erleichtert und schmunzelnd kniete Elias sich hinter sie und umfing ihren bebenden Körper mit den Armen.
„Das ist die Seele Aurelias. Sie spürt, dass das Haus wieder mit Leben erfüllt ist.“
„Du alter Romantiker.“
„Wer ist hier alt?“
Sie lachten beide, und Lynette schmiegte sich in die Umarmung.
„Alissa hat angerufen und gefragt, wie es dir geht.“
Wie von ihm prophezeit, hatten sich Lynettes Bedenken und Scheu gegenüber der Großmutter als unbegründet erwiesen. Die beiden Frauen hatten sich skeptisch beäugt, einander angelächelt und auf Anhieb sympathisch gefunden. Eine Woche waren sie geblieben. Seitdem telefonierten Lynette und Alissa beinahe täglich miteinander. Sie waren geradezu unzertrennlich. Dementsprechend liebevoll klang Lynettes Stimme, als sie sagte: „Sie macht sich zu viele Sorgen. Es dauert noch vier Monate.“
„Nimm es ihr nicht übel. Es ist schließlich ihr erster Urenkel.“
„Und wenn es ein Mädchen wird?“
„Dann wird sie Aurelia heißen und durchs Haus rennen und es mit Lachen füllen.“
„Romantiker, sag ich doch.“
Zärtlich glitt er mit den Fingern über die sanfte Wölbung ihres Bauches.
„Ich bin mit dem Schlafzimmer fertig. Willst du es sehen?“
„Trägst du mich? Meine Beine zittern noch.“
Die Wärme ihres Körpers genießend, trug er sie die Treppe hinauf. Noch immer begann ihm das Herz zu flattern, sobald sie ihn mit diesem sanften, verliebten Blick ansah. Es war ihm kaum möglich, in Worte zu fassen, wie sehr er diese Frau liebte.
Mit dem Fuß stieß er die Tür zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer auf. Das große Bett mit den vier massiven Pfosten stand in der Mitte. Die schweren, grauen Samtvorhänge hatte er zugezogen. Links und rechts hinter dem Bett standen zwei große, schmiedeeiserne Lüster mit jeweils zwanzig brennenden Kerzen. Die grauen, mit irisierender Seide bespannten Wände schillerten im Zwielicht der Flammen. Über dem Bett zeigte ein Spiegel ein Meer aus roten Seidenkissen, an der Wand gegenüber hingen die drei erotischen Bilder von Frank. Daneben, in einer Glasvitrine, hing das Hochzeitskleid
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