Lynettes Erwachen
Tonfall! Charlottes Gehässigkeit verschlug Lynette nicht zum ersten Mal den Atem. Sie verstand diese Frau nicht.
Loreen tauchte plötzlich hinter ihr auf und sagte: „Halt dich bitte an dem Balken fest.“
Lynette sah sich im Spiegel, die Hände fest um den Fachwerkpfeiler geschlossen. Loreen stand hinter ihr und zog die Schnüre des Korsetts fest. Mit jedem Ausatmen schloss sich das Kleidungsstück fester um den Körper. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst. Das Gefühl der Hilflosigkeit nahm sie gefangen. War da etwa Lust in ihr? Lynettes Wangen begannen zu glühen.
„Es ist ein ungewohntes Gefühl, ein Korsett zu tragen“, flüsterte sie, um sich von den wirren Empfindungen abzulenken.
„Ich habe es in jener Nacht getragen, als ich Elias begegnete.“
Diese Äußerung verschlug Lynette die Sprache. Das konnte unmöglich ernst gemeint sein?
„Ein Korsett macht eine Frau zur Göttin. Selbst bei dir bringt es das Verruchte zum Vorschein. Du hast unglaublich viel Wollust in dir. Wie eine Süchtige brauchst du immer mehr. Und mit dieser Gier wirst du Elias’ Prinzipien in Grund und Boden stampfen. Ich möchte erleben, wie er die Kontrolle verliert, bevor ich gehen muss. Erfüllst du mir diesen Wunsch?“
Etwas brach in Lynette auf. Wut und Verachtung durchströmten sie wie Gift. Langsam ging sie zu Charlotte und drehte diese samt Sessel zu sich um. Sie beugte sich nach vorn und stützte sich auf den Armlehnen ab. Mit unbewegter Stimme sagte sie: „Jetzt hör mir mal gut zu, du alte, bösartige Hexe. Ich liebe Elias! Und wenn er sich Grenzen gesteckt hat, werde ich diese akzeptieren. Ich lasse mich nicht von dir manipulieren. Tod hin oder her, mir ist noch nie ein Mensch begegnet, der so schlangenzüngig ist wie du. Verspritz dein Gift woanders. Und wenn du Elias bei deiner Hochzeit haben willst, verhalt dich mir gegenüber ruhig. Hast du mich verstanden?“
Purer Hass schlug ihr entgegen, doch das kratzte Lynette wenig. Jahrelang hatte sie das ertragen und war gegen solche Blicke abgestumpft. Charlotte war ihr viel zu unwichtig.
Abrupt wandte sie sich Loreen zu, die verschüchtert dastand und nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte.
„Zieh mir dieses Ding aus. Sofort!“, schrie Lynette, als Loreen nicht reagierte.
Nachdem diese die Schnürung gelöst hatte, warf Lynette Charlotte das Korsett vor die Füße, schnappte sich Slip und Kimono und verließ mit hoch erhobenem Kopf das Zimmer.
Überrascht sah Elias auf, der sich gerade die Krawatte band.
„Was ist denn mit dir los?“
Wütend stapfte Lynette im Zimmer auf und ab.
„Würde dir diese bösartige Schachtel nicht so viel bedeuten, wäre ich nicht mehr hier, das kannst du mir glauben. Ich sollte das Korsett anziehen, welches sie vor zwanzig Jahren trug, um dich daran zu erinnern, wie wundervoll sie die Nacht mit dir fand. Nichts als Bosheit fließt durch ihre Adern. Nie werde ich verstehen, dass ein Mann wie Jonas eine solche Frau lieben kann. Und solltest du mich noch einmal Hexe nennen, dann …“ Unvermittelt musste sie lachen. Elias starrte sie entgeistert an. Scheinbar hatte er noch keine wütende Frau gesehen.
„Verdammte Scheiße, bist du sexy, wenn du dich aufregst.“
Lächelnd ging sie zu ihm und band die Krawatte. In Elias’ Nähe konnte sie die Wut und Entrüstung nicht lange aufrechterhalten. Seine Gegenwart beruhigte sie.
„Dich bringt nichts aus der Ruhe, was? Lass uns diese Hochzeit hinter uns bringen und verschwinden. Ich hab’s satt, manipuliert zu werden.“
„Stehst du das durch?“
„Ich bitte dich. Sechzehn Jahre habe ich Gefühle vor anderen und mir selbst versteckt. Da werde ich ein paar Stunden überstehen. Nun geh schon. Ich zieh mich um und komme gleich nach.“
„Ich liebe dich, Lynette. Nichts und niemand wird daran etwas ändern.“
„Das weiß ich.“
Stolz, erhaben und in dem Wissen, unantastbar zu sein, trug Lynette das Nacktkleid, als sie in den Garten ging. Eigentlich sollte sie Charlotte dankbar sein. Dieser Streit hatte ihr mehr als alles andere verdeutlicht, wie wichtig ihr Elias war und wie innig sie miteinander verbunden waren. All die Zweifel und Unsicherheit, ob es doch nur die irrsinnige sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen war, hatten sich in Luft aufgelöst.
Er stand neben Ryan und Jonas in einem großen weißen Pavillon, der heute Morgen aufgebaut worden war, und lächelte ihr zu. Lynette setzte sich zu ihrem Vater und nahm dessen Hand.
„Wow! Du siehst
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