Lynettes Erwachen
Sie wollte weder nach Hause noch in diesen dämlichen Club. Nein, sie wollte tanzen und Spaß haben. Wieso saß sie hier an der Theke und ließ sich runterziehen?
Hätte sie ihn begleiten sollen? Bei einer Razzia konnte er sicher rechtlichen Beistand gebrauchen? Lynette schnaubte verächtlich. Was ging sie der Club an? Elias war selbst schuld. Diese Lasterhöhle war eine tickende Zeitbombe. Wer wusste schon, was sich hinter den verschlossenen Türen alles abspielte?
„Hallo, Süße. Ich bin Thoma. Bist du allein?“
Lynette gefielen weder der Tonfall noch die lüsternen Blicke des Mannes. Sie meinte sich zu erinnern, vorhin mit ihm getanzt zu haben. Mit einem abfälligen Blick sah sie ihn an.
„Oh, ich sehe schon, auch wenn er nicht da ist, gehörst du ihm. Nichts für ungut.“
Der Typ wollte sich umdrehen, als Lynettes Hand automatisch nach dessen Arm griff. Wut und Empörung mischten sich in ihrer Brust.
„Ich gehöre niemandem. Wie kommst du auf einen derartigen Schwachsinn?“
Lynettes Miene spiegelte keinerlei Gefühlsregung wider, allerdings hatte sie ihren Blick nicht so gut im Griff. Sie war wütend. Wütend auf Elias, dass er so viel Einfluss auf sie hatte, auf sich selbst, dass sie ihm das zugestand, und auf diesen arroganten Kerl, der glaubte, sich alles herausnehmen zu können. Dass sie einen Fehler begangen hatte, merkte sie im Handumdrehen.
Thoma trat einen Schritt näher, drängte den Körper zwischen ihre Schenkel und neigte den Kopf dicht zu ihrem Hals.
„Beweis es, Kleine. Komm mit mir. Ich werde dir die gleichen Wonnen schenken wie Elias.“
Lynettes Herz hämmerte gegen die Rippen. Sie spürte die starken Muskeln an ihrem Körper, die Hitze und die harte Erektion, die er an ihren Schenkel presste. Die alte Angst stieg in ihr hoch. Mühsam verdrängte sie die Panik, schaltete vollkommen ab. Alle Gefühle und Emotionen fuhr sie auf ein Minimum herunter. Ihr Gesicht ließ sie kalt, unbewegt und kontrolliert aussehen.
„Mister, was Sie da tun, ist sexuelle Nötigung. Ich würde Ihnen dringend raten, Abstand zwischen uns zu bringen, sonst sehen wir uns vor Gericht.“
Thomas Lächeln wirkte verunsichert.
„Ich sage es kein zweites Mal“, fauchte sie und legte all die Härte und den Ärger in diesen Satz.
Er wich zurück. Mit flackerndem Blick. Lynette kannte diesen Typ Mann gut genug, um zu wissen, dass eine saftige Beleidigung folgen würde.
„Fick dich selbst, du blöde Kuh. Viel Spaß mit deinem Elias. Der wird dir zeigen, wo’s langgeht.“
Scheinbar teilnahmslos sah sie ihm hinterher. Der heftig schlagende Puls am Hals ließ erahnen, welcher Orkan in ihr tobte. Plötzlich wollte sie weg, sich sicher und geborgen fühlen.
Vor dem Club winkte sie nach einem Taxi. Erleichtert schloss sie die Tür hinter sich und atmete tief durch.
„Alles in Ordnung, Ma’am?“, fragte der Taxifahrer mit einem besorgten Blick in den Rückspiegel.
Lynette nickte. Im Moment gab es für sie nur einen einzigen Ort auf der Welt, an dem sie diese Panik loswerden würde, und sie nannte dem Fahrer die Adresse.
Allmählich beruhigte sich ihr Herzschlag. Lynette sah aus dem Fenster, auf die Lichter der Stadt, und versuchte vorerst, an nichts zu denken. Elias Drake hatte ihren Panzer durchbrochen, und es fiel ihr zunehmend schwerer, diesen aufzubauen, wenn sie ihn brauchte. Tränen wollten sich in ihre Augen drängen, doch sie ließ es nicht zu. Nicht jetzt, Lynette Harllow. Contenance , Kleines. Du bist eine Frau von Welt. Man zeigt Gefühle nicht öffentlich. Lynette stöhnte gequält. Die Stimme ihrer Mutter war das Letzte, was sie gebrauchen konnte.
„Was ist denn hier los? Sind Sie sicher, dass Sie hierher wollen, Ma’am?“
Die Stimme des Taxifahrers riss Lynette aus den unliebsamen Gedanken. Sie schaute aus dem Fenster und sah überall Blaulicht und Polizei. Vor dem Eingang des Clubs standen zwei Uniformierte und verweigerten jeglichen Zutritt.
„Ja, das ist in Ordnung.“ Lynette bezahlte das Taxi. Wieder sah der Fahrer sie besorgt an. „Ich bin Anwältin.“ Warum sie sich genötigt sah, den Fahrer zu beruhigen, verstand sie selbst nicht. Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln und wandte sich an einen Uniformierten, der aussah, als hätte er gerade die Schule abgeschlossen.
„Sie können jetzt nicht rein, Ma’am.“
Der junge Mann sah sie von oben bis unten an, wirkte verunsichert und überfordert.
Lynette griff in die Innentasche des Blazers und holte eine Visitenkarte hervor.
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