Lynettes Erwachen
Sie hatte immer Visitenkarten dabei. Man wusste nie, wann man sie gebrauchen konnte.
„Mein Name ist Lynette Harllow. Ich bin Mr. Drakes Anwältin, und jetzt sollten Sie mir besser aus dem Weg gehen.“
Fast tat er ihr leid, als ihr eisiger Blick ihn traf und der arme Junge einen Schritt zurücktrat.
„Ich glaube nicht, dass Mr. Drake einen Anwalt braucht. Wir haben nicht einmal eine Zigarette in dem Laden gefunden. Keine Drogen. Alles blitzeblank.“
Überrascht sah sie den Jungen an. „Eine Drogenrazzia?“
„Ja, Ma’am.“
War sie einfältig oder vertraute sie Elias blind? Als er von einer Razzia gesprochen hatte, dachte sie, es ginge um den Club und dessen Mitglieder. Dass er mit Drogen zu tun haben könnte, auf den Gedanken wäre sie im Leben nicht gekommen.
Lynette trat weiter auf ihn zu, er wich einen weiteren Schritt zurück.
„Wie kommen Sie darauf, dass es in diesem Club Drogen geben könnte?“
Eisig und selbstgefällig ließ sie die Stimme klingen, und stellte zufrieden fest, dass sie es noch draufhatte, wenn es unbedingt nötig war.
„Wir haben einen anonymen Tipp bekommen, Ma’am.“
Der Uniformierte fühlte sich in ihrer Nähe sichtlich unwohl. Hilfe suchend sah er hinter sie.
„Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?“, erklang eine herrische, wohlbekannte Stimme. Mit einem aufgesetzten, wenig freundlichen Lächeln drehte sie sich um.
„Detective Petersen. Wie schön, Sie zu sehen.“
„Harllow? Was machen Sie denn hier?“ Verwirrung und Skepsis standen Petersen ins Gesicht geschrieben. Argwöhnisch sah er zwischen dem Eingang des Clubs und ihr hin und her.
„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich in einem solchen Etablissement rumtreiben. So kann man sich irren.“ Ein breites, widerliches Grinsen spielte um seinen Mundwinkel.
Ungerührt fragte sie: „Wo ist mein Mandant Mr. Drake?“
Da sie nichts gefunden hatten, war Petersen vom ersten Augenblick an in der nachteiligeren Position. Außerdem kannte sie ihn aus dem Gerichtssaal. Mehr als einmal hatte sie ihn wegen seiner unbeherrschten Vorgehensweise durch die Mangel gedreht. Lynette ließ genau diesen Anwaltsblick auf ihn herab. Das anzügliche Grinsen verschwand augenblicklich.
„Mr. Drake ist in seinem Büro. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten. Der Laden ist sauber.“
„Und um das herauszufinden, mussten Sie mit einer Hundertschaft auftauchen?“ Sie übertrieb maßlos, musste Petersen von Anfang an einschüchtern. Dieses Großmaul hatte sie sowieso auf dem Kieker. „Mir scheint, Sie haben übertrieben, Petersen. Von wem kam der Tipp?“
„Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen darf.“
„Morgen werde ich auf die Dienststelle kommen. Mr. Drake wird für die ausgefallenen Stunden Schadensersatz fordern.“
Mit Genugtuung sah sie, dass Petersen bleich wurde. Konnte es sein, dass er diese Aktion ohne Rückendeckung initiiert hatte? Für dumm genug hielt sie ihn. Ohne ihn weiter zu beachten, trat sie an ihm vorbei.
Das erste bekannte Gesicht war der Bulldozer Ryan. Dessen Miene hellte sich auf, als er sie erkannte.
„Wo ist Elias?“
„Im Büro. Gut, dass du da bist.“
Die Vertraulichkeit war ihr nicht recht, doch sie hatte keine Lust, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stieg sie die Treppen in den zweiten Stock hinauf.
Elias saß am Schreibtisch, ein Glas Scotch in der Hand und mürrisch vor sich hinstarrend. Er sah nicht auf, als sie die Bürotür hinter sich schloss.
„Sind sie weg?“, fragte er gereizt.
„Noch nicht.“
Sein Kopf schnellte hoch, und die blauen Augen funkelten.
„Was machst du hier?“
Lynette trat zu ihm hinter den Schreibtisch und lehnte sich an die Tischplatte. Es war ein gutes Gefühl, ihn zu sehen, und alle Anspannung wich aus ihrem Körper. Sie ärgerte sich immer noch über diese seltsame Reaktion auf ihn, konnte es aber nun mal nicht ändern und hatte sich entschieden, es hinzunehmen.
„Ich dachte, du brauchst vielleicht einen Anwalt.“
Wütend sah er sie an. „In meinem Laden gibt es keine Drogen. Wenn du das von mir denkst, solltest du besser gehen.“
Der eisige Tonfall tat ihr in der Seele weh. Auf diese Feindseligkeit war sie nicht gefasst. Was konnte sie denn für die Razzia? Lynette straffte die Schultern, als sie sich der Tür zuwandte.
„Nenn mich naiv, ich habe nicht einen Augenblick daran gedacht, es könnte sich um eine Drogenrazzia handeln. Dieser Club ist auch ohne Drogen ein Pulverfass. Lass
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