Lynettes Erwachen
klang wie ein kleines, trotziges Kind, und so fühlte sie sich auch. Mit bösem Blick streckte sie Ben die Zunge raus.
„Ich muss auf Franks Vernissage ein Kleid anziehen, sonst kommt er nicht mit.“
„Sehr löblich! Ich mag den Kerl.“ Ben lächelte verzagt. „So gern ich mit dir plaudere, ich muss ins Gericht. Komm wegen der Büromöbel die nächsten Tage vorbei.“
Er küsste sie auf die Wange, drängte sie aus der Kanzlei, schloss ab, und dann war sie allein.
Urlaub! So ein Quatsch! Kein Mensch mit einem erfüllten Arbeitsleben brauchte Urlaub.
Zuerst fuhr Lynette nach Hause, zog endlich das zerknitterte Kostüm aus und packte ein paar Sachen für die Reinigung zusammen. Anschließend kaufte sie Lebensmittel, ging in einen Kosmetiksalon und ein Blumengeschäft. Es war halb drei am Nachmittag, als sie auf dem Sofa saß und nichts mit sich anzufangen wusste.
Ihr Blick schweifte zu dem erotischen Roman, den sie schon fünf Mal gelesen hatte. Jetzt hielt sie ihn für langweilig und musste schmunzeln. Elias! Er brachte Seiten an ihr hervor, von denen sie nicht geglaubt hatte, dass sie in ihr waren. Sehnsucht erfüllte jede Zelle ihres Körpers. Dass er nicht bei ihr war, tat körperlich weh. Sie hasste dieses Gefühl.
Unruhig sprang sie auf, tigerte durchs Wohnzimmer und blieb vor der Schlafzimmertür stehen. Dieser Raum war langweilig und wenig einladend. Vielleicht sollte sie renovieren? Ein Eimer Farbe und neue Vorhänge würden in diesem tristen Zimmer Wunder bewirken. Später stand sie im Ankleidezimmer vor dem Kleiderschrank und sah die Sachen durch. Irgendwie hatte sie Lust auf mehr Farbe. Ein Kleid für die Vernissage musste sie ebenfalls kaufen. „Allein macht das keinen Spaß“, lamentierte sie und griff zum Telefon.
„Hi, Justine.“
„Hallo! Was gibt’s?“
„Hast du Lust auf Shopping?“
„Na immer doch.“
„Wann kannst du hier sein?“
„Wie, jetzt?“, fragte Justine überrascht.
„Ich habe den Urlaub, den ihr alle von mir verlangt habt, und langweile mich zu Tode.“
„Du bist unmöglich, das weißt du vermutlich. Treffen um fünf Uhr in der Old Bond Street?“
„Perfekt! Du bist meine Rettung. Wenn ich so auf mich allein gestellt bin, denke ich zu viel nach, und ich will nicht denken.“
„Das ist ja was ganz Neues. Bis gleich, und nimm das dicke Portemonnaie mit.“
„Werde ich machen. Bis gleich.“
So! Noch anderthalb Stunden, die sie überbrücken musste. Aus der Küche holte Lynette zwei große Müllbeutel und packte Kleidung zusammen, die ihr nicht mehr gefiel oder die sie ewig nicht mehr getragen hatte.
Nach einer ausgiebigen Dusche zog sie die Jeans und einen dünnen, hellblauen Pulli an, den sie im Schrank gefunden hatte. Keine Ahnung, wo der her war. Jedenfalls stand er ihr hervorragend und fühlte sich auf der Haut unglaublich weich an.
Ausnahmsweise schien die Sonne, und so kaufte sie sich ein Eis und schlenderte an den Schaufenstern vorbei. Unablässig schüttelte sie den Kopf. „Die spinnen ja! Wer gibt denn dreihundert Pfund für eine Hose aus?“
„Na, ist dir wieder alles zu teuer?“ Justine drückte sie kurz an sich und hielt sie auf Armeslänge von sich. „Ist das die sündige Jeans?“
„Yep.“
„Du siehst toll aus! In dieser Richtung sollten wir weitersuchen.“
„Hatte ich vor. Nur befürchte ich, wir sind in der falschen Gegend.“
„Was glaubst du, wie sauer deine Mutter wäre, würdest du das Erbe für Jeanshosen verprassen?“
„Stinksauer!“ Bei dem Gedanken musste sie schmunzeln. „Das Geld würde mir trotzdem leidtun.“
„Ich meine mich zu erinnern, dass in deinem Kleiderschrank vier Hosenanzüge von Armani hängen.“
„Fünf“, gab Lynette zu. „Aber das ist Qualität. Davon hat man das ganze Leben etwas.“
„Tolle Verkaufsstrategie! Wollen wir bei Chanel reinschauen?“
„Das ist eine super Idee!“ Lynette hakte sich bei Justine ein und sah, wie diese die Augen rollte. Es war ihr egal. Sie liebte Chanel.
Eine Stunde später lag die Ausbeute bei zwei Hosen im Marlene-Dietrich-Stil, drei Blusen, sogar eine rote, und einem klassischen Chanelkostüm.
„Wo willst du das denn anziehen? Du siehst wie fünfzig aus.“
„Quatsch! Das ist zeitlose Eleganz.“
„Pah! Altmodisch ist es!“
„Du hast keine Ahnung!“
Lynette schluckte, als sie über fünftausend Pfund bezahlen musste.
„Mach nicht so ein betretenes Gesicht. Wann hast du das letzte Mal Geld für dich ausgegeben?“, schalt ihre
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