Lynne Graham
feststellen, dass ihre kleine Schwester mitsamt all ihren Sachen verschwunden war. Ophelia war völlig verzweifelt gewesen, doch Gladys hatte kein Mitleid gezeigt.
„Mollys Vater hat sie abgeholt. Er wird sich von nun an um sie kümmern“, hatte Gladys Ophelia informiert. „So sollte es auch sein. Sie hat nie zu uns gehört.“
Nie würde Ophelia den Schmerz vergessen, den die Trennung von der kleinen Schwester ihr verursacht hatte. Sie tröstete sich damit, dass man durch Briefe und Besuche in Verbindung bleiben würde. Doch das geschah nicht, und die Großmutter hatte damals nur immer wieder gleichgültig mit den Schultern gezuckt. Heute war Ophelia überzeugt, dass sehr viel mehr mit dieser Geschichte zusammenhing, als Gladys je hatte zugeben wollen.
Sie musste sich im Klaren darüber sein, dass, wenn sie das Erbe verweigerte, Mollys Ansprüche ebenfalls verloren gingen. Molly musste jetzt siebzehn sein. Wenn sie sich je wiederbegegneten, würde sie Ophelia verzeihen, dass diese mit ihrer Entscheidung auch die Schwester um ihr Erbteil gebracht hatte?
„Vielleicht war es ein wenig vorschnell, Lysanders Angebot abzulehnen“, murmelte sie seufzend und verabscheute sich gleichzeitig dafür, dass sie scheinbar zu den Frauen gehörte, die alle fünf Minuten ihre Meinung änderten.
Ophelia schlief unruhig in dieser Nacht. Umso mehr frustrierte es sie, als sie am Morgen feststellen musste, dass die Telefonnummer, die Lysander ihr hinterlassen hatte, lediglich zu einer kurz angebundenen Sekretärin führte, statt zu ihm selbst. Nein, Mr. Metaxis sei geschäftlich im Ausland, man könne erst für nächste Woche einen Termin in London ausmachen.
So wartete Ophelia ungeduldig auf den Termin, was der Neugier auf den geheimnisvollen Brief, der ihr erst bei einer Hochzeit überreicht werden würde, ausreichend Nährboden lieferte. Dieser Brief bildete ein ebenso unverständliches Teil in diesem seltsamen Puzzle wie das Testament selbst. Ob dieser Brief ihr eröffnen würde, wie und wo sie Molly finden konnte? Plötzlich verspürte sie eine sehr viel stärkere Motivation, dieser Heirat zuzustimmen.
Und was würde es sie schon kosten? Die völlig bedeutungslose Verbindung zu dem Mann, den sie verabscheute, würde sehr bald wieder gelöst werden. Schließlich war es keine wirkliche Ehe. Ophelia zweifelte nicht daran, dass Lysander Metaxis weiterhin ohne Einschränkung seiner überaktiven Libido frönen würde. Bei der Vorstellung, wie eine Parade von lüsternen Schönheiten zu jeder Tages- und Nachtzeit durch Madrigal Court zog, schnitt Ophelia eine Grimasse. Mit Sicherheit würden sie alle wie Kletten an ihm hängen, in dieser lasziven, provozierenden Art, die Ophelia in endlose Verlegenheit stürzte. Andererseits … ihr Schlafzimmer lag im hinteren Flügel, und wenn er im Haus war, würde sie bestimmt ausreichend Möglichkeiten finden, ihm aus dem Weg zu gehen.
Ihre düsteren Überlegungen an diesem Tag wurden durch einen unerwarteten Anruf unterbrochen. Donald Morton bat sie, in seine Kanzlei zu kommen. Als sie zu ihm ging, erfuhr sie die nächste Hiobsbotschaft. Lysander Metaxis’ Anwälte hatten ihn aufgesucht, mit der formellen Order, Ophelia müsse die Nutzung des eingemauerten Gartenstücks einstellen.
Ophelia starrte den Anwalt verwirrt an. „Aber wieso? Ich verstehe nicht …“
„Man hat mich darauf hingewiesen, dass Ihr Großvater vor zwölf Jahren den Garten und die drei Felder, die danebenliegen, an einen ansässigen Bauern verkauft hat. Ihre Großmutter scheint nicht gewusst zu haben, dass der Garten in den Verkauf eingeschlossen war.“
Vor zwölf Jahren hatte Ophelia nicht auf Madrigal Court gelebt, sondern noch bei ihrer Mutter. „Ich weiß, dass die Felder vor Ewigkeiten verkauft wurden, aber der Garten … Das ist doch unmöglich.“
„Ich war damals nicht involviert, aber man hat mir Kopien der Verträge vorgelegt und überlassen. Ich kann Ihnen versichern, dass der Garten in die veräußerte Parzelle eingeschlossen ist.“ Morton erklärte ihr, dass der Sohn des Bauern eigentlich eine Baumschule dort einrichten wollte, doch dann war er plötzlich und unerwartet verstorben, und der alte Bauer hatte keine Verwendung für das Stück, sodass bisher niemand an Ophelia herangetreten war.
Sie hörte mit wachsender Bestürzung zu. Metaxis Immobilien hatte den Bauern vor vier Jahren ausgekauft, das wusste sie. Irgendwie musste übersehen worden sein, dass der Garten Teil der gekauften Parzelle
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